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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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Brücke wieder
hochgezogen wird. Sie hört schallendes Getrappel von Pferdehufen und ein
Schnauben, das sie erwartungsvoll zum Felsentor herüberblicken lässt. Der
Reiter taucht aus diesem hervor, treibt sein Pferd den kleinen Anstieg zum Hof
empor, um es daraufhin durch den tiefen Schnee auf Joan und die Stallungen zu
traben zu lassen. Er trägt einen langen schwarzen Wollmantel, der über den
Rücken und die Seiten des Rosses herabfällt. Als er sein Pferd zügelt, geht ihm
Joan ungeduldig entgegen, wobei sie den ausgetretenen Trampelpfad verlässt.
    Der Reiter sitzt ab. Er schlägt
die tiefe Kapuze zurück, so dass sein blondes Haar, das ihm glatt über die
Schultern fällt, zum Vorschein kommt. Er nimmt sein Pferd an den Zügeln und
blickt Joan erstaunt entgegen. „Madame, Ihr holt Euch nasse Füße.“
    Lächelnd streckt sie die Hand
nach den Zügeln aus. „Ich bin Joan. Die Stallknechte sind noch mit Ausmisten
beschäftigt und haben dich nicht bemerkt.“
    „Joan? Raymonds Tochter“, fragt
er verwundert, woraufhin sie ihm nickend die Zügel aus der Hand nehmen will.
    Es scheint ihm nicht ganz recht
zu sein, da er sie nur zögerlich freigibt. Doch ihrem resoluten Auftreten setzt
er nichts weiter entgegen. Er neigt den Kopf. „Sie nennen mich Shepherd.“
    Joan mustert seine
hochgewachsene Gestalt, das gegürtete Schwert sowie seine leichte Rüstung und
lacht. „Weshalb? Du siehst mir nicht wie jemand aus, der Schafe hütet.“
    Er winkt grinsend ab. „Das ist
nicht so schnell erzählt.“
    Sie nickt. „Du musst hungrig
sein. Das Abendmahl hat bestimmt schon begonnen. Etwas ungewöhnlich, in dieser
Jahreszeit zu reisen“, meint sie noch, bevor sie sein Pferd an den Zügeln mit
sich führt.
    Er streicht sich eine blonde
Strähne aus dem Gesicht hinters Ohr und folgt ihr zum Trampelpfad. „Mein Weg
war nicht weit. Ich komme aus dem nahen Blackvalley. Malcom ist mein Lehnsherr“,
bekennt er, was sie dazu bewiegt, sich noch einmal flüchtig nach ihm umzusehen.
Sie erkennt ihn wieder. Er blieb damals als Steward mitsamt seiner Familie auf
Thornsby Castle zurück, als sie nach Bannockburn aufbrachen. Seine schlimme
Turnierverletzung scheint mittlerweile geheilt zu sein, seinem zügigen Gang
nach zu urteilen.
    „Ich bringe dein Pferd zu den
Stallknechten.“
    „Auch
nicht eben gewöhnlich“, bemerkt er. „Hab’ Dank“, ruft er ihr noch hinterher,
woraufhin sie abwinkt, ohne sich nochmals umzuwenden.
    Joan
verbindet Miriam wieder und lächelt. „Die Wunde heilt gut. Hast du noch
Schmerzen?“
    Miriam schüttelt den Kopf. „Nur
noch ein leichtes Ziehen, wenn ich mich zu schnell bewege.“
    „Wir können nun die Auflage
weglassen. ... Es wird eine Narbe zurückbleiben, die dich immer an diesen Tag
erinnert“, erklärt Joan. Zu ihrer Verwunderung schmunzelt Miriam beglückt.
    „Eine schöne Vorstellung. Der
Tag, an dem er mich endlich bemerkte“, äußert diese zwinkernd.
    Joan lacht kopfschüttelnd.
„Deine Worte zeugen von deiner Verliebtheit.“ Als sie die Enden des Verbandes
verknotet hat, kleidet sich Miriam wieder an.
    „Joan?“
    Sie blickt zu ihr.
    „Ich hoffe inständig, er wird
nicht zwischen uns stehen.“
    Joan ist erstaunt ob ihrer
Offenheit und sucht nach den richtigen Worten. „Es war eine wichtige Erfahrung
für mich, denn nun weiß ich, mein Herz gehört nur Malcom. ... Ich bin froh,
dass ihr euch gefunden habt. Du musst wissen, dass ich Amál wirklich gerne habe
und mir sein Glück am Herzen liegt.“
    Miriam lacht. „Ja, mir auch.“
    Joan nickt grinsend und erhebt
sich. „Lass uns nachsehen, ob sie uns noch etwas Essbares übrig gelassen
haben.“
    Miriam jedoch hebt abwehrend
die Hände. „Ich habe keinen Hunger.“
    „Ja, natürlich“, feixt Joan
spöttisch. „Du lebst von seinen Küssen.“
    Miriam seufzt schwermütig. „Ja,
leider nur von diesen. ... Joan, mein Vater darf es nicht erfahren.“
    Joan hebt verwundert die
Augenbrauen. „Wieso nicht? Gegen ein paar verliebte Küsse hat er sicher nichts
einzuwenden.“
    Miriam blickt etwas verlegen zu
Boden. „Lass es mich so ausdrücken: einst verspielte ich sein Vertrauen in
solch einer Angelegenheit.“ Sie betrachtet Joan ernst. „Amál ist mir zu
wichtig, als dass ich Vater gegen ihn aufbringen will. Denn er kennt seinen
Ruf, der nicht eben der sauberste ist.“
    Joan lässt sich ihre
Überraschung nicht anmerken. Sie deutet eine beschwichtigende Geste an. „Meine
Lippen sind verschlossen, sei versichert.“

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