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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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sie.
    Joan nickt, während sie sich
auf ihr Bett setzt, um ihre Hemdgewänder aufzuknöpfen. Blanche hatte deren
knöpfbare Ausschnitte auf ihr Bitten hin bis zur Nabelhöhe erweitert. Somit
kann sie ihr Kind stillen, ohne sich halb nackt machen zu müssen, und dennoch
standesgemäße Kleider tragen.
    „Er hat ja auch lange
geschlafen.“ Sie nimmt Robert von Agnes entgegen, legt ihn an und drückt die
freie Hand gegen ihre andere Brust, damit die Milch nicht herausschießen kann.
Das Stillen schmerzt sie längst nicht mehr, ihre Brustwarzen sind
unempfindlicher geworden. Sie blickt zu Agnes auf und erwidert deren Lächeln.
Schon längst kämpft sie nicht mehr gegen Roberts Amme an, empfindet statt
dessen Dankbarkeit für deren wertvolle Hilfe und Erfahrenheit. Zwar steht ihr
auch Blanche mit Rat und Tat zur Seite, doch hatte diese ihre Kinder nie selbst
gestillt, sondern es ihrer Amme überlassen. Und Joan hatte einige Zeit
gebraucht, um den Bogen mit der Stillerei herauszubekommen.
    „Hast du eigentlich noch Milch,
Agnes?“
    Diese zuckt die Schultern und
wirft mit einer Bewegung des Kopfes das dichte dunkelblonde Haar aus dem
Gesicht nach hinten. „Ein wenig. Manchmal, wenn Ihr in der Halle seid und er
weint, gebe ich ihm noch meine Brust.“
    Joan nickt. „Du kannst ihn
getrost öfter anlegen. Ich vermute, meine Milch reicht ihm allmählich nicht
mehr aus.“
    Agnes jedoch schüttelt den
Kopf. „Das erscheint Euch nur so. Alle jungen Mütter glauben das hin und
wieder. Doch der Herr hat es so gefügt, dass auch mehr Milch fließt, wenn das
größer werdende Kind mit der Zeit stärkeren Hunger bekommt.“
    Joan nickt verstehend und
betrachtet ihren schmatzenden Sohn. „Darf ich dich nach deinem Kind fragen,
Agnes?“ Sie blickt in Agnes’ nun trauriges Gesicht. Diese nickt.
    „Wie alt war es?“
    „Nahezu zwei Jahre“, antwortet
Agnes mit einem verlorenen Lächeln. „Ich werde die Zeit mit ihr nie vergessen.“
    Joan kämpft die aufkommenden
Tränen hinunter, bewundert insgeheim Agnes’ Selbstbeherrschung. Schließlich
kann der Tod ihrer Tochter noch nicht lange her sein. „Woran starb sie denn“,
fragt sie mit belegter Stimme.
    Agnes seufzt bekümmert. „Am
Fieber. Es wollte nicht weichen und hat sie innerlich verbrannt.“
    Sie schweigen eine Weile
bedrückt.
    „Du wirst bestimmt noch viele
Kinder haben“, versucht Joan, sie zu trösten.
    Agnes lächelt, schüttelt jedoch
den Kopf. „Der Herr vergönnt mir keine Kinder. Es war schon das Dritte, welches
mir starb. Ich stecke es nicht so gut weg, wie andere Frauen im Dorf. ... Ich
habe keine Kraft mehr dazu. ... Mich hingegen um EURE Kinder zu kümmern, würde
mich glücklich machen.“
    „Wirklich“, fragt Joan beinahe
ungläubig. „Aber es ist doch nicht das Selbe, wie ein eigenes Kind.“
    „Nein, sicher nicht. Doch es
lässt mich vergessen.“ Sie lächelt. „Ich habe den Kleinen schon ziemlich ins
Herz geschlossen.“
    Joan atmet durch. „Er zieht
einen Vorteil aus deinem Leid“, bemerkt sie. „Ich ebenfalls.“
    „Es ist gut so.“
    Joan nickt und wechselt Robert
an ihre andere, noch prall volle Brust. „Aber wie denkt dein Mann darüber?“
    Agnes’ Blick wird starr. „Er
ist als Bogenschütze in der letzten Schlacht gegen die Schotten gefallen.“
    „Oh Agnes. Es scheint, das Pech
hat dich verfolgt.“
    „Ich versuche mir oft zu sagen,
dass es seinen Sinn hatte.“
    Es klopft kurz an die Tür und
Malcom öffnet. Mit einer langen Lederbahn über einem Arm tritt er ein. „Ich
dachte mir, dass du vielleicht einmal hinaus willst ...“
    Joan runzelt fragend die Stirn,
als er das lederne Zeug vor ihr aufs Bett wirft.
    „Soll ich mich da hinein
wickeln?“
    Er lacht vergnügt. „Nicht DICH.
Es ist eher für Robert gedacht.“
    Sie stößt einen ahnungsvollen
Ruf aus. „Ein Trageleder! Welch wunderbarer Einfall! Woher hast du es“, fragt
sie und befühlt erstaunt das geschmeidige Ziegenleder.
    „Es war einmal meines und das
meiner Geschwister. ... Unsere Amme trug uns oft damit.“
    „Oh
Malcom“, ruft sie entzückt. „Lass es uns sogleich erproben!“
    Joan fläzt
im weichen Gras neben dem flachen, dunklen Felsstein und lutscht an einem
Grashalm. Robert neben ihr liegt im Schatten des Steines auf seinem Trageleder
und lässt den Dolch seines Vaters nicht aus den Augen. Malcoms Hand führt ihn
geschickt, Holzspäne bedecken seine im Schneidersitz verschränkten Beine. Dem
kleinen Spielzeugpferd aus Birkenholz erwächst

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