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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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ihre
Geschwister stets wehmütig erinnerten, wenn einer ihrer Brüder die Tunika trug.
Um die Taille liegt ihr ein Ledergürtel mit einer schön geschmiedeten,
dornbesetzten Schnalle. An diesem hängt neben einer blutroten Gürteltasche gar
ein schlichter Dolch in einer ledernen Scheide. Die dunklen Beinlinge liegen
nicht ganz so hauteng an, wie gewollt, da sie ihr etwas zu groß sind. Doch sind
sie sauber und von guter Beschaffenheit. Zu ihrer unsäglichen Freude hatte sie
ein Paar schwarzer Reitstiefel aufgestöbert, die ihr nun, zwar ebenfalls etwas
zu groß, bis kurz unter die Knie reichen. Sie werden ihr in diesem Winter sehr
willkommen gegen die Kälte sein.
    Ihre schlanke, jungenhafte
Gestalt kommt ihr zu Gute und sie rechnet sich beste Chancen aus, in dieser
Verkleidung unbemerkt Thornsby Castle verlassen zu können. Es tut ihr um Sarahs
Hochzeitskleid leid, welches sie unterm Bett versteckt zurücklassen muss.
    Sie will die Aufbruchstimmung
von Malcom nutzen. So fasst sie sich endlich ein Herz und öffnet die Tür. Von
der Halle unten dringt Geschrei und unterschwelliges Stimmengewirr an ihr Ohr.
Vorsichtig lugt sie hinaus Richtung Treppe. Als niemand zu sehen ist, tritt sie
beherzt über die Schwelle und zieht die Tür leise hinter sich zu. Dann eilt sie
zur Treppe und läuft zügig, aber nicht zu auffällig, hinab in die Große Halle.
Dort wird sie vom Gewimmel des Gesindes und Malcoms sich rüstender Mannschaft
geschluckt. Jagdhunde bellen, kleine Kinder schreien, zwei Mägde streiten
miteinander. Man verabschiedet sich nun endgültig von der Familie. Das
Durcheinander kommt Joan mehr als gelegen. Niemand schenkt ihr Beachtung und
sie jubelt innerlich, wie einfach es bisher war. Doch hat sie noch ein gutes
Stück bis zur Zugbrücke vor sich. Sie hofft, auf dem Weg nach draußen von der
Wache unbehelligt zu bleiben. Denn für gewöhnlich hält diese nur Ankömmlinge
auf. Als sie die Treppe weiter nach unten nimmt, überholt sie etliche Mägde,
welche mit Tabletts voller Reste von Speis und Trank des Morgenmahles auf dem
Rückweg zur Küche sind. Unauffällig stibitzt sie eine Scheibe weißen Brotes von
einem der Tabletts herunter und stopft sich diese hungrig in den Mund.
Schließlich gelangt sie auf dem riesigen Innenhof vor dem Wohnturm an, wo sie
sich Richtung Brücke wendet. Dabei vernimmt sie das blökende Vieh aus den
Stallungen. Laute Hammerschläge schallen aus der Schmiede über den Hof. Der
Duft frisch gebackenen Brotes wird vom Backhaus an der Mauer herübergetragen.
Sie schlängelt sich an etlichen Pferden vorbei, die schon fertig gesattelt und
gezäumt bereit stehen. Malcoms kostbares Schlachtross ist nicht zu übersehen.
Ein blutjunger Stallbursche bekommt von einem Waffengesellen in Kettenhemd und
Helm eine schallende Ohrfeige. Ganz zu Recht, wie Joan befindet, da er die
Pferde anstatt an den Halftern an den Zügeln festgebunden hatte. Die Tiere
könnten sich somit durch die steife Kandare in der Lücke zwischen ihren Zähnen
schwer an Maul und Gebiss verletzen, wenn sie etwa aufgeschreckt würden. Eine
Hand voll Kinder des Gesindes und der Edelleute versucht, mit Stöcken
Pferdeäpfel vor sich herzurollen. Ab und zu machen sie mit ihren Ruten dem
einen oder anderen herumlaufenden Huhn oder Schwein das Leben schwer. Joan
bemerkt, dass sie bereits vergessen hatte, wie beengt das Burgleben ist. Als
sie am Ziehbrunnen und der kleinen Kapelle vorüberkommt, erheischt sie durch
die offenstehende Tür einen kurzen Blick auf etliche gerüstete Männer, die
barhäuptig kniend beten.
    Joan wendet allem den Rücken zu
und hat nur noch das mächtige Burgtor vor sich. Plötzlich gerät die Wache an
der Zugbrücke in hellen Aufruhr. Ein großer Hund mit struppigem, verklebtem
Fell attackiert einen Wachmann, welcher aufgeregt versucht, ihn mit seiner
gesenkten Lanze auf Abstand zu halten. Die restlichen zwei Wachen in seinem
Rücken greifen nun hektisch ebenfalls zu den Waffen. Das geifernd kläffende
Tier verhält sich äußerst aggressiv. Es fällt immer wieder zum Angriff nach
vorn aus, doch die Lanze hält es in Schach. Mit einem Male lässt der Hund vom
Wachmann ab und kommt tänzelnd mit hochgezogenen Lefzen durch das Burgtor. Die
fluchende Wache stürzt ihm Hals über Kopf hinterher. „Gebt Acht, ein
tollwütiger Hund“, brüllt sie ungehalten, während der Köter knurrend an Joan
vorbei geradewegs auf die Pferde zu rennt. Diese können nicht entweichen, da
sie an in der Wand des Wohnturmes

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