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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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wieder aus, ehe noch etwas
damit geschieht.“
    Joan nickt und legt es wieder
ab. „Sie hat nicht in Weiß geheiratet“, stellt sie fest, wobei sie Blanche das
Kleid sowie den Schmuck reicht.
    „Raymond hatte sie noch vor
ihrer Ehe geschwängert. Sie gebar Gabriel acht Monate nach der Vermählung“,
erklärt Blanche.
    „Du weißt mehr als ich über
sie“, erwidert Joan nachdenklich, als sie in ihr grünes Samtkleid schlüpft.
    „Raymond erzählte es mir, als
er das Kleid sah.“
    Joan nickt verstehend. Sie
atmet durch. „Ich danke euch, Blanche. Aus tiefstem Herzen.“
    Diese winkt ab und verstaut das
Kleinod wieder in der Truhe beim Bett. „Es freut mich, dass es dir so viel
bedeutet.“ Sie wirft einen Blick auf Raymond, der nackt neben zwei zerwühlten
Wolldecken liegt. Lächelnd streift sie eine davon über ihn. Er wälzt sich
daraufhin knurrend auf den Bauch und zieht sich die Decke über den Kopf.
    „Komm, lassen wir ihm seine
Ruhe“, meint sie grinsend, und sie verlassen ihr Gemach.
    „Ich muss Robert erst später
stillen. Kannst du etwas Zeit erübrigen?“
    Blanche nickt.
    „Dann könntest du mich doch in
meine Aufgaben als Burgherrin einweihen. Unsere freie Zeit wird in den
kommenden Tagen sicher immer knapper bemessen sein.“
    „Ja. Jetzt wäre es in der Tat
günstig. Aber es wird wohl bis zum Mittag währen, mach dich darauf gefasst.“
    Joan nickt
einverstanden. „Ich gebe Agnes noch schnell Bescheid.“
    Joan sitzt
aufatmend auf dem Felsen über dem oberen Tor, schließt die Augen und hält das
Gesicht in die warme Sommersonne. Es ist nach den Anstrengungen des Vormittages
die reinste Erholung. Bis noch vor wenigen Augenblicken schleifte Blanche sie
erbarmungslos durch die Vorratsräume, die Küche und Stallungen, das Backhaus
und die Waschräume, wies sie in die Führung des Haushaltes ein und stellte ihr
die Vielzahl an Mägden und Knechten vor. Ihr ist, als würde sie niemals die
unzähligen Namen behalten. Nicht im Traum hätte sie sich ihre künftigen
Aufgaben derart vielschichtig vorgestellt. Es lässt sie fürchten, die
Heilkräuter vernachlässigen zu müssen, um alles bewältigen zu können. Auch wenn
Blanche sie in dieser Hinsicht zu beschwichtigen versuchte indem sie erklärte,
sie müsse die vielen Aufgaben lediglich gut verteilen und den Überblick
behalten. Und die wichtigste Person sei die Großmagd, welche sie bei der
Organisation des Haushaltes unterstützt.
    Sie hört Kinderstimmen über den
Hof schallen, was sie seufzend die Augen öffnen lässt. Mit der Hand schirmt sie
den Blick vor der Sonne ab und gewahrt Isa und Aidan unterhalb des Felsens. Sie
halten Stöcke in den Händen, mit denen sie geschäftig etwas in den Staub zu
ihren Füßen ritzen. Dabei unterhalten sie sich angeregt. Joan runzelt
verwundert die Stirn. Sie bemerkt zum ersten Male, dass die beiden zusammen
stecken. „He ihr zwei! Was treibt ihr da“, fragt sie neugierig geworden und klettert
vom Felsen herab.
    „Joan, sieh nur. Aidan zeigt
mir, wie man zusammen zählt“, empfängt Isa sie aufgeregt.
    Joan springt das letzte Stück
vom dunklen Felsen herunter und landet stiebend auf einer ihrer Ritzungen.
Aidan läuft rot an, als sie ihn mustert und richtet den Blick eilig nach unten
in den Staub.
    Isa knufft ihn spöttisch, so
dass er verärgert auf sie herab sieht.
    Joan will ihm aus der
Verlegenheit helfen. „Erklärt es mir“, fordert sie.
    „Es ist ganz einfach, wenn man
es einmal verstanden hat“, meint Isa. „Sieh. Das hier sind die Zahlen von eins
bis zehn.“
    Joan stutzt. Verwundert
überfliegt sie die untereinander stehenden Ziffern und versucht dabei, sich
diese zu merken. „Ist das eine Fünf“, fragt sie und tippt auf die Zahl in der
Mitte.
    „Ja“, erwidert Aidan
überrascht.
    „Und das die Eins und die
Zehn“, bemerkt Isa und zeigt mit dem Stock auf die oberste und unterste Zahl.
    Joan nickt.
    „Man kann die Zahlen zusammen
ziehen“, fährt sie gewichtig fort. „Zum Beispiel ergibt drei und fünf eine
Acht.“
    Joan runzelt grübelnd die Stirn
und kommt zu dem gleichen Ergebnis, nachdem sie mit Hilfe ihrer Finger
abzählte.
    Isa ist es nicht entgangen.
„Das ist noch einfach. Schwerer wird’s bei den Zahlen, die größer als zehn
sind. Hier haben wir elf bis zwanzig aufgemalt.“
    Joan folgt ihr erstaunt zu den
Ziffern hinüber, um diese ehrfürchtig zu betrachten. Dann bemerkt sie, dass sie
sich im Grunde nur hinter der Eins wiederholen und begreift plötzlich.

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