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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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Sie
nimmt Isa den Stock aus der Hand und schreibt eine neue Zahlenreihe daneben in
den Dreck. „Sind das hier die Zahlen von einundzwanzig bis dreißig?“
    Isa zieht die Augenbrauen
zusammen und zuckt unschlüssig die Schultern. Ihr Blick wandert fragend zu
Aidan hinüber, der Joan nachdenklich ansieht und nickt.
    „Du hast es begriffen“, stellt
er fest. Andächtig legt er einen Finger an die Unterlippe, schreibt zwei Zahlen
auf und blickt Joan erwartungsvoll an.
    Sie konzentriert sich. „Elf und
zehn ergeben zusammen einundzwanzig.“
    Sein Grinsen bestätigt sie.
    „Joan, du hast uns was vorgemacht“,
ruft Isa entrüstet. „Du kannst es bereits!“
    „Nein, Isa“, erwidert Aidan.
„Sie kann nur logisch denken.“
    Joan betrachtet das Gekritzel
vor ihr gedankenversunken. „Euch beide schickt der Himmel“, murmelt sie und
blickt selig lächelnd auf. „Nun wird es mir ein Leichtes sein, auf diese Weise
den Überblick über Vorräte und Lieferungen zu behalten. ... Ich werde ein
Haushaltsbuch anlegen“, ruft sie freudig.
    Aidan nickt zustimmend. „Mein
Onkel wies mich in die Kunst der Buchführung ein. Ich könnte dir helfen“,
schlägt er vor und wird erneut rot im Gesicht, als ihn Joan überrascht
betrachtet. „Nur, wenn du es willst“, fügt er eilig hinzu, um ihrem Blick
daraufhin verschämt auszuweichen.
    Sie nimmt seine Hand und drückt
diese leicht. „Du würdest mir damit einen großen Gefallen erweisen“, antwortet
sie aufrichtig und wuschelt ihm aufmunternd durch seine roten, herrlich weichen
Locken.
    Er begegnet ihr mit frechem
Grinsen. „Gib mir Bescheid, wenn du mich brauchst.“
    Sie nickt.
    Aidan wiegt plötzlich
grüblerisch den Kopf. „Du musst natürlich wissen, WAS du zusammenzählst.“
    Joan zieht erschrocken die Luft
ein. „Du hast Recht“, meint sie ernüchtert, worauf sie den Stock mutlos zu
Boden fallen lässt. Resigniert schüttelt sie den Kopf. „Das lerne ich nie!“
    „Was denn“, fragt Isa
ungeduldig.
    „Schreiben“,
antwortet Aidan.
    Joan hält
Stephanie mit Mühe und Not auf dem Arm. Die Kleine ist dem kalten Weihwasser
vollends abgeneigt, strampelt und schreit aus Leibeskräften. Als die Zeremonie
beendet ist, überreicht Joan die Untröstliche erleichtert ihrer Mutter. Die
grellen Schreie verstummen urplötzlich und man kann wieder das eigene Wort
vernehmen.
    „Sie weiß jedenfalls, was sie
NICHT will“, bemerkt Malcom grinsend zu Raymond, worauf dieser lächelnd nickt.
Aus seinen Augen spricht väterlicher Stolz.
    Sie danken Vater Isidor. Malcom
drückt ihm einen Obolus in die Hand.
    Der Geistliche neigt
anerkennend den Kopf. „Ich weiß es zu schätzen. Hab’ Dank, mein Sohn.“
    Er sieht mitgenommen aus, hat
dunkle Ringe unter den Augen und eine graue Haut. Seine sonst so fröhlichen
Augen blicken traurig drein.
    Joan berührt seinen Arm.
„Vater, Ihr seht nicht gut aus. Was ist Euch?“
    Er hat überrascht zu ihr
aufgeblickt und nickt nun schwermütig seufzend. „Unser Jüngster ist gestern
verstorben.“
    Joan schluckt entsetzt. Vor
überwältigendem Mitgefühl ist sie für einen Moment sprachlos. Anteilnehmend
drückt sie seine Hand.
    Er lächelt. „Die Wege des Herrn
sind unergründlich. Möglicherweise gibt er mir damit sein Missfallen kund,
gegen das Zölibat verstoßen zu haben.“
    „Wie könnte er“, meint Raymond
spöttisch. „Wo doch Malcom jährlich eine hohe Geldbuße für dich an ihn
entrichtet.“ Auf Joans schmähliche Blicke hin lässt er ein verächtliches
Schniefen vernehmen. „Weißt du, ich glaube, es gefällt ihm ganz allgemein,
unsere Kinder vor der Zeit zu sich zu holen. Egal, ob von Klerus, Adel oder
Bauersmann und ganz gleich, ob man fromm ist oder sich übler Verbrechen
schuldig gemacht hat.“ Er nimmt dabei Stephanie von Blanche entgegen, küsst der
Kleinen abwesend die Stirn und wendet sich mit ihr unversöhnlich von ihnen ab.
    Joan wechselt mit Blanche
hilflose Blicke, um sich dann unbehaglich wieder an Vater Isidor zu wenden.
„Ihr müsst meinen Vater entschuldigen. Er verlor die meisten seiner Kinder an
den Tod.“
    Der Vater nickt, wobei er
Blanche flüchtig nachblickt, welche Raymond aus der kleinen Holzkirche hinaus
folgt. „Ich weiß. Bedauerlicherweise kann ich ihn ganz gut verstehen.“
    Joan betrachtet ihn versonnen.
„Ihr seid für mich der erste Geistliche, der Verständnis für die Eigenarten der
Mitglieder seiner Gemeinde aufbringt und sie nicht dafür Buße tun lässt.“
    Er wiegt bedächtig

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