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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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den Kopf und
geleitet sie mit einer freundlichen Geste zur Tür. „Es ist wohl der einzige
Nutzen, den mir der Verstoß gegen das Zölibat einbringt. Ich kann mich gut in
die Sorgen und Nöte der mir Anvertrauten hineinversetzten. Denn ich habe sie
schon selbst am eigenen Leibe erfahren.“
    Sie schweigen nachdenklich und
treten aus der Kirche heraus.
    „Man sollte es abschaffen“,
bemerkt sie, was Isidor verdrießlich auflachen lässt.
    „Ihr seid nicht die Erste, die
es fordert. Hohe Kirchenmänner haben sich schon dafür eingesetzt. Bisher leider
erfolglos.“
    Malcom kehrt von den Pferden
zurück, die bei der Friedhofsmauer angebunden sind, und nimmt Joans Hand. „Wir
empfehlen uns, Vater. Ich hoffe, du kommst trotz deiner Trauer zu unserem
Fest.“
    Vater Isidor nickt lächelnd,
während er zum Abschied das Kreuz segnend über sie schlägt.

Das
Hochzeitsfest
    Joan steht
vor Malcom und gibt ihm unter anfeuernden Zurufen einen langen Kuss. Er legt
den Arm um ihre Taille und der einsetzende Jubel ist ohrenbetäubend.
Schließlich lässt sie atemlos von ihm ab. Ihr vergnügtes Lachen geht im
beifallenden Gejohle unter. Am lautesten grölen Malcoms Ritter und
Waffenknechte sowie die jungen Dorfburschen. Joan blickt in die ausladenden
Zweige der uralten, stattlichen Eiche vor sich, dem Lebensbaum des Dorfes, und
lächelt über die unzähligen bunten Bänder, welche nach altem heidnischen Brauch
daran gebunden sind. Eine warme Brise spielt mit ihnen, lässt sie lustig auf
und ab tanzen. Jedes Band stammt von einem ihrer Gäste und wurde, begleitet von
einem guten Wunsch für das Paar, vor dem Fest an den Baum geknüpft. Nach der
Länge und Stärke ihres Kusses wird wohl jeder der Wünsche in Erfüllung gehen.
Plötzlich ertönt eine geschickt gespielte Fiedel, welche die Menschen
hochscheucht und aufgeregt durcheinander laufen lässt. Joan fühlt sich an der
Hand gepackt. Überrascht erblickt sie zu ihrer Linken einen schelmisch
grinsenden Burschen. Etliche seiner Kumpane knuffen ihn empört, geben jedoch
klein bei, da sie den Wettlauf gegen ihn verloren haben. Malcom hält ihre
Rechte fest und sie finden sich plötzlich in einem riesigen Kreis fröhlich um
die Eiche tanzender und singender Menschen wieder. Schnell findet sie in den
Rhythmus des Reigens und stimmt nach einiger Zeit des ausgelassenen Tanzens in
die eigentümliche Mundart ein. Sie kommt sich vor wie im Traum, schwebt
leichtfüßig über das abgeweidete, weiche Gras. Irgendwann kann sie der Versuchung
nicht mehr widerstehen und lässt ihrem Farbsehen freien Lauf. Klammheimlich,
wie des öfteren in letzter Zeit. Doch ist sie dieses Mal überwältigt. Über
ihnen allen und dem Baum steht eine einzige große Flamme in den Farben des
Regenbogens.
    Unter den Tanzenden gewahrt sie
plötzlich die auffallend weiße Flamme eines Alten, der zu ihr herüber sieht.
Eilends unterdrückt sie daraufhin die Farben und versucht mit beklommenem
Gefühl, nicht mehr in die Richtung des Alten zu blicken. Sie fühlt sich
ertappt.
    Die Menschen sitzen an der
riesigen hufeisenförmigen Tafel oder im Gras beim feuchtfröhlichen Schmaus.
Jeder langt kräftig zu. Insbesondere die Dorfleute nehmen die seltene
Gelegenheit wahr, sich einmal richtig satt essen zu können. Sie schlagen sich
die Bäuche bis zum Bersten voll, als gelte es, das restliche Jahr am Hungertuch
zu nagen. Kommen sie doch allzu selten in den Genuss von Fleisch. Die Stimmung
ist ausgelassen. Malcoms Männer necken die schönen Bauernmädchen, was ihnen
griesgrämige Blicke von den Burschen einbringt. Joan fallen die oftmals
schwarzen Schöpfe von Malcoms Bauern auf. Doch sind sie von eher kleinem Wuchs,
ihre Gestalten schlank und schmal im Vergleich zu ihrem hochaufgeschossenen
Dienstherrn oder zur kräftigen Gedrungenheit beispielsweise der Bauern von
Thornsby, in deren Adern insbesondere angelsächsisches Blut fließt. Während
Malcoms Äußeres auf dessen normannische Herkunft weist, zeugt jenes seiner
hiesigen Bauern wohl noch von deren uralten keltischen Wurzeln, ihren
kriegerischen Urahnen, den Pikten.
    „Du machst deiner Mutter alle
Ehre“, meint Raymond, wobei er seinen Blick bewundernd über Joan schweifen
lässt. Diese umarmt ihn lächelnd, woraufhin er ihr einen Kuss auf die Stirn
gibt.
    „Ihr habt mich sehr glücklich
damit gemacht“, erwidert sie, während sie wieder an der Mitte der Tafel Platz
nehmen.
    Malcom zieht sie zu sich heran.
„Du bist so schön, Joan“, haucht er ihr ins

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