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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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begabte
Nonnen auf ein Prophetenamt vorbereitet werden. Sie haben wohl ebenfalls die
Gabe der Schau. Vielleicht können sie dir behilflich sein ...“
    Joan winkt lächelnd ab. „Ich
danke Euch Vater, doch habe ich hier meine Verpflichtungen. Überdies hatte ich
lediglich vor, diese Fähigkeit zum Heilen zu nutzen. Vielleicht kann ich eines
Tages den Dorfheiler doch noch dazu bewiegen, mich in sein diesbezügliches
Wissen einzuweihen.“
    „Er hat es abgelehnt“, fragt Vater
Isidor erstaunt, während er sich erhebt.
    „Ich bin ihm wohl zu
blutrünstig“, erklärt sie daraufhin mit zuckenden Schultern und kommt ebenfalls
auf die Beine.
    Der Priester deutet ein Lächeln
an, während er segnend das Kreuz über sie schlägt. „Nicht, dass ich die
Menschen allzu oft mit den Zitaten berühmter Kirchenväter langweile, doch weißt
du, dass ich dir in Augustinus’ Sinne Absolution erteilt habe? Und war er doch
jemand, der sich vehement gegen den Krieg aussprach, vielmehr lehrte, dass
nicht der Krieg, sondern der Friede das eigentliche Gesetz der Natur sei. Doch
zur Verteidigung dürfe man töten.“
    Sie nickt mit angedeutetem
Lächeln. „Legitimation von beinahe oberster Stelle.“
    „Die man
nicht als rechtfertigenden Vorwand nutzen sollte, um Krieg zu führen,... was
jedoch leider immer wieder geschieht. Denn ganz entgegen Augustinus’ Sinn
wurden ihm die Worte im Munde herumgedreht und es entstand der Begriff des
gerechten Krieges.“
    Joan
schwitzt vor geistiger Anstrengung, weniger der Hitze dieses glühenden
Sommertages wegen, und fährt sich mit dem Ärmel ihres leichten, zartgrünen
Gewandes zerstreut über die feuchte Stirn.
    Aidan rutscht gelassen vom
Felsen herab, um prüfend um sie herum zu kommen. Mit seinem Stecken streicht er
die Fehler innerhalb ihrer in den Staub geritzten Wörter kurzerhand durch und
schreibt den richtigen Buchstaben darüber. Daraufhin nickt er anerkennend und
grinst sie breit an. „Du wirst besser.“
    Joan stöhnt schwermütig. „Die
Zahlen liegen mir mehr. ... Vielleicht handhabe ich es besser so, wie mit der
Kennzeichnung meiner Essenzen und male auf, was gemeint ist.“
    Aidan jedoch schüttelt
entschieden den Kopf. „Dein unleserliches Gekritzel muss doch auch für andere
nachvollziehbar sein. Wenn du schon ein Haushaltsbuch führen willst, dann richtig.“
    Joan stöhnt erneut. „Dein
Ehrgeiz bringt mich noch zur Verzweiflung.“
    Aidan wiegt den Kopf. „Verkaufe
dich nicht unter deinem Wert. Du verstehst erstaunlich schnell. Vor ein paar
Wochen noch konntest du noch nicht einmal deinen Namen schreiben.“
    Sie seufzt und beißt sich
nachdenklich auf die Unterlippe. „Zeige mir mehr!“
    Er lacht auf. „Du bist sehr
zielstrebig“, stellt er erheitert fest, woraufhin sie den Kopf schüttelt.
    „Es bleibt mir vom Tage nur so
wenig Zeit dafür“, erklärt sie, um ihn mit gezücktem Stock erwartungsvoll zu
betrachten.
    Er überlegt. „Schreibe: wenn
ich von einhundert Äpfeln vierunddreißig esse, dann blieben mir ...?“
    Sie schreibt seine Worte in den
Staub. Als sie sich wieder aufrichtet, tritt er neben sie und überfliegt die
Zeilen. Ein Lächeln erhellt sein Gesicht, das Joan einen freudigen Luftsprung
vollführen lässt.
    „Das erste Mal ohne Fehler“,
ruft sie beglückt.
    „Und?“
    Sie runzelt die Stirn. „Und?“
    „Nenne mir die Lösung dieser
Aufgabe“, fordert er ungeduldig.
    Sie lässt ihm ein verschmitztes
Grinsen zuteil werden. „Erbärmliche Bauchschmerzen und das zweifelhafte
Vergnügen, den Rest des Tages im Abtritterker verbringen zu dürfen.“
    Sie lachen vergnügt.
    „Ich muss gehen“, bemerkt Joan,
lehnt ihren Stecken an den Felsen und wuschelt ihm zum Abschied durchs Haar.
    Er weicht ihr knurrend aus.
„Kannst du das nicht mal lassen?“
    Ein spöttisches Schmunzeln
umspielt ihren Mund. „Findest du es zu kindisch?“
    „Allerdings. Ich bin nur ein
paar Jahre jünger als du“, antwortet er vorwurfsvoll, was ihm ihr unbekümmertes
Lachen einbringt.
    „Und ich glaubte, du wärst
besser im Umgang mit Zahlen“, stichelt sie, versetzt ihm eine Kopfnuss und
lacht herzlich über sein empörtes Gesicht. „Die Antwort lautet
sechsundsechzig“, bemerkt sie schelmisch, kehrt ihm kichernd den Rücken zu und
lässt ihn stehen. Er fährt sich über den Kopf, während er ihr zerknirscht
hinterher sieht.
    Kurz vorm Eingang zum Wohnturm
wendet sie sich noch einmal zu ihm um. „Ich danke dir, Aidan“, ruft sie,
diesmal ohne jeglichen

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