Die rote Farbe des Schnees
durchatmend übers
Gesicht. Ihre Blicke treffen sich. Er bläst die Luft aus und betrachtet
daraufhin wieder stoisch die Decke über sich. Joan tut es ihm gleich. Wie
wünscht sie sich in seine Arme, sehnt sich nach seinen Küssen. Der leise,
erstickte Aufschrei der Frau lässt sie genervt die Augen verdrehen. Was müssen
sie sich gerade hier austollen? Ulman steckt sich einen Strohhalm in den Mund
und kaut versonnen darauf herum. Sie erhebt sich, um das Licht zu löschen,
wobei sie Jeremys hünenhafte, halbnackte Gestalt über einer von Amáls jungen
Mägden erkennt.
Sie bläst das Talglicht aus und
kommt in Ulmans Arme. Er zieht sie eng an sich, pustet den Halm aus dem Mund
und küsst sie. Joan erwidert seine Küsse, die zunehmends verlangender werden.
Sie muss Acht geben, sich nicht zu verlieren, nimmt atemlos sein Gesicht
zwischen die Hände und schiebt ihn einhaltgebietend etwas von sich weg.
Daraufhin lässt er den Kopf auf ihre Schulter sinken und stößt die Luft
schwermütig aus.
Joan streicht ihm
beschwichtigend durchs Haar. „Ich liebe dich, Ulman. Doch ich bringe es nicht
übers Herz, Malcom mit dir zu betrügen. ... Ich liebe ihn doch, verflucht noch
mal“, raunt sie ihm zu. Sie ist nun sicher, Malcom niemals mit ihm untreu
werden zu können, auch wenn es sie noch so sehr nach ihm verlangt. Mehr noch,
als nach Malcom. Und ist es nicht nur sein Äußeres, das ihn so anziehend für
sie macht. Im Grunde ist es sein gefühlsbetontes, sanftes Wesen, die ungeheure
Aufmerksamkeit, welche er ihr entgegen bringt. Er wirkt beruhigend auf sie, ist
ihr Ausgleich und gibt ihr Kraft. Ihre Seelen sind im Einklang, wenn er bei ihr
ist. Es ist etwas Einmaliges, das sie verbindet. Oft glaubt sie, ihn schon
immer gekannt und gesucht zu haben. Doch nun, da sie ihn endlich gefunden hat,
steht ihnen bereits wieder der unausweichliche Abschied bevor.
Ulman hebt den Kopf und küsst
ihre Nasenspitze. „Es war allein mein Fehler, jetzt nicht an seiner Stelle zu
sein. Ich hätte damals mit dir weggehen sollen. ... Bis zu meinem letzten
Atemzug werde ich es bereuen.“
Sie liegen
eng umschlungen da und genießen schweigend die Nähe des anderen. Ja, sie wäre
ohne zu zögern mit ihm gegangen, hätte er sie bereits damals mit seinem Feuer
angesteckt. Alles wäre anders gekommen. ... Doch er hatte sie nicht angesteckt.
Er war zu zurückhaltend, um sie ihre Feigheit, ihre bösen Geister, überwinden
zu lassen. Dies hatte nur Malcom bewerkstelligt. Gedankenversunken krault sie
ihm vertraulich durchs Haar. Er legt den Kopf ganz nah neben den ihren, berührt
mit den Lippen ihre Schläfe und summt plötzlich leise ihre Melodie.
Joan
erblickt London nicht zum ersten Male. Früher begleitete sie Raymond ab und an
auf seinen Reisen hierher. Dabei ging es von Verhandlungen rechtlicher Dinge
über den Erwerb schöner Tuche oder Waffen bis zur Rückführung eines entlaufenen
Leibeigenen, den einer seiner Männer erkannt hatte, als man den armen Hund rein
zu diesem Zwecke an den Pranger stellte. Joan mag die laute Stadt mit ihrem
emsigen Treiben nicht. Der unausstehliche Gestank, welcher von ihr ausgeht, ist
ihr zuwider. Die Enge sowohl der Straßen, als auch der aneinandergeschmiegten
Häuser wirkt auf sie bedrückend. Wie froh sie ist, hoch zu Ross zu sitzen und
sich nicht vorbei an vielfach lumpentragendem, stehlendem und übel riechendem
Fußvolk durch den oftmals knöcheltiefen Unrat und Schmutz der Gassen bewegen zu
müssen, in dem sich die Schweine grunzend suhlen. Viele benutzen Trippen,
Stelzschuhe mit hohen hölzernen Sohlen, um dem stinkenden Pfuhl trockenen Fußes
zu entgehen und sich das gute Schuhwerk nicht zu beschmutzen.
Man springt beim Anblick ihres
Trupps schnell beiseite, weicht ihnen schon beim Klang der vielen Pferdehufe
auf dem Pflaster eiligst aus dem Wege. Weiter vorn ist die Straße durch ein
festgefahrenes Ochsengespann verstopft. Den schräg stehenden Rädern nach hat es
Achsbruch erlitten. Sie vermeidet es, ihren Schimmel den hier tief in die Pflastersteine
eingeschnittenen Wagenradspuren zu nahe kommen zu lassen. Er könnte allzu
leicht darin umknicken. Das Stadtvieh wird von den Weiden vor London wieder
eingetrieben, bevor die Tore schließen, und trottet blökend um sie her die
Straßen entlang zu den Ställen im engen Hofraum der Häuser. Es vermehrt das
übliche Wirrwarr. Der Mist der Tiere lagert neben dem Unrat der Bewohner in
großen Haufen auf abgelegenen Plätzen sowie verstreut auf den Straßen
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