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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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und trägt
mit dem Dunst der menschlichen Kloake ein Übriges zur atemberaubenden
Geruchsmelange der Stadt bei, einer wahrhaften Beleidigung der Nase.
    Amál bildet die Spitze ihres
Zuges und führt sie durch verwinkelte Gassen in ein etwas ruhigeres Viertel der
Stadt in Nähe des Themseufers. Die Straße besitzt hier eine solide,
gepflasterte Abflussrinne. Vornehme, in Stein gebaute Häuser mit Erkern und
schöner Zier aus Schnitzwerk, verspielten Gravuren in den steinernen
Einfassungen der Türen und Fenster, gemeißelten Friesen sowie bunten Bemalungen
an den Wänden zeugen von Wohlstand. Ganz in der Nähe scheint es ein Badehaus zu
geben, einigen halbnackten Gestalten nach zu urteilen, die, nur halbherzig in
ihre Badetücher gewickelt, schnell noch vor ihnen über die Straße eilen. Eine
nicht unübliche Art, Herr seiner Habe zu bleiben, derer man schnell einmal in
einem Badehaus entledigt wird.
    „He“, ruft Jeremy ihnen hämisch
nach. „Was, wenn sie euch eure Tücher stehlen?“ Dieser seiner Eingebung folgend
gibt er seinem Pferd sogleich unter rauem Lachen die Sporen und fällt aus der
Reihe aus, um den bestürzt Aufschreienden in gespielter Böswilligkeit ein
kleines Stück nachzusetzen. Er macht sich einen derben Spaß daraus, die Ärmsten
in Angst und Schrecken zu versetzen. Seine Kumpane danken ihm die willkommene
Abwechslung mit schallendem Gelächter. Die aufgescheuchten Nackten indes suchen
mit umständlichem Getrippel schleunigst in der Sicherheit enger Nebengassen das
Weite. Derweil hält Amál vor einem großen, zweigeschossigen Eckhaus, welches
ganz aus Stein gefügt und somit sicherer als die Holzkaten vor immer wieder
wütenden, Häuser übergreifenden Bränden ist. Diese plagen die Stadt, seitdem
sie existiert, zerstörten sie gar zu einem beträchtlichen Teil bei einem
Großbrand vor etwa einhundert Jahren, zur Zeit von König Johann Ohneland, dem
Urgroßvater des jetzigen Königs Edward.
    Einer von Amáls Knechten sitzt
vor der Torrundung ab. Nachdem ihm sein Herr die Schlüssel zugeworfen hat,
öffnet er die beiden Torflügel. Sie reiten mit eingezogenen Köpfen in den
überraschend geräumigen Innenhof ein, der von Nebengelassen und einer Mauer mit
eingelassenem Durchgang umsäumt wird. Der hinter der Mauer befindliche kleine
Garten mit Obstbäumen und Beeten gehört wohl ebenfalls zum Anwesen, wie Joan
schließt. Etliche Kornelkirschen blühen im herrlichsten limonenartigen Gelb,
was das Gemüt nach dem Dreck der Gassen etwas sonniger stimmt. Sie sitzen ab.
Während die Knappen und Waffenknechte die Säumer entladen, bindet Joan ihren
Schimmel an einem der waagerechten Holzbalken an, die direkt für diesen Zweck
gedacht sind, und erkundigt sich nach dem Abtritt. Die Knechte bringen die
Pferde in die Ställe, versorgen sie mit Wasser aus dem Ziehbrunnen und Heu aus
der Scheune. Die Mägde fegen das Haus durch, entzünden Feuer in den Kaminen,
richten die Schlafstätten her und bereiten nebenher das Abendmahl.
    Joan verrichtet ihre Notdurft
in einem kleinen Verschlag beim Garten, in dem sich eine Senkgrube mit quer
darüber liegendem Sitzbalken befindet. Da das nächste Brunnenhaus in einer
beschwerlichen Meile Entfernung liegt, hatte man die geräumige Grube
zugeschüttet, nachdem für eine unterirdische Ableitung der Fäkalien in die
Themse hinterm Garten gesorgt worden war. Denn somit verhinderte man jede
weitere Verunreinigung mit dem Wasser des nur mäßig tiefen Ziehbrunnens. Amál
zufolge hatte das Wasser nämlich bereits den Duft der Kloake angenommen und
Durchfälle beschert. Trotz allem stinkt die Grube gen Himmel. Auch das kleine
nebenstehende Riechfläschchen mit in Essig gebeiztem Baldrian verschafft kaum
Abhilfe. Vielleicht eher, um einen Ohnmachtsanfall zu verhindern, wenn man es
sich direkt unter die Nase hält, überlegt Joan und muss grinsen. Vermutlich hat
irgendein Spaßvogel die Flasche als Anspielung aufgestellt. An den Geruch der
Kloake wird sie sich wohl in den nächsten Wochen gewöhnen müssen, da sie keine
Lust verspürt, sich vor Malcom auf einen Nachttopf zu setzen, welcher dann aus
dem Fenster in die Gasse entleert würde. Dennoch beunruhigt sie der Gestank,
ist verdorbene Luft doch bekanntermaßen für die Übertragung von Krankheiten
verantwortlich. So putzt sie sich eilends mit dem bereitliegenden Mooszopf und
Wasser aus einem Krug ab und legt die Bruech wieder an. Sie ist von der Reise
ermüdet und hungrig. Schnellen Schrittes eilt sie über den Hof in

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