Die rote Farbe des Schnees
wenn ihr beide zurück seid.“
Das Lächeln auf ihrem Gesicht
erstirbt. „Gar nichts verspreche ich“, erwidert sie frostig. „Er ist nicht
willens, mir überhaupt zuzuhören. Nochmals ertrage ich solch erniedrigende
Schmähungen nicht.“
Er seufzt. „Lass MICH es ihm
sagen!“
Sie blickt ihn durchdringend
an. „Nein, Amál.“
Ratlos zuckt er darauf die
Schultern.
„Bitte lass uns heute nicht
mehr solche Probleme wälzen. Ich habe noch zu packen.“
Er nickt schließlich
einverstanden. „Also gut, wir haben noch die gesamte Rückreise dafür Zeit.“ Ihr
gequältes Stöhnen lässt ihn grinsen. Mit einem wegwerfenden Handschwenk
entlässt er sie. „Morgen in aller Frühe geht es zurück. Möglichst im
Morgengrauen, noch bevor das Stadtvieh ausgetrieben wird.“
Sie nickt
und verlässt eilends sein Gemach.
Joan saugt
die Frische der morgendlichen Frühlingsluft tief ein und blickt nach oben in
die Baumwipfel, welche das Blau des Himmels nur ungern und zögerlich schwankend
freigeben. Es riecht nach Baumharz. In ihrer Nähe baut ein gurrendes
Waldtaubenpärchen eifrig an seinem Nest, fliegt mit langen Ästchen im Schnabel
rege umher. Ein Specht klopft an den wuchtigen Stamm einer nahen, uralten
Eiche. Joan schaut abwägend zu den anderen, die soeben vor dem Wirtshaus
aufsitzen, und lenkt ihren Schimmel zur Eiche. Behutsam legt sie ein Ohr an die
raue Borke des Stammes und lächelt, als das Hämmern des Spechtes in ihrem Kopf
dröhnt. Seit sie das düstere London verließen ist ihr, als wäre eine große
Bürde von ihr abgefallen. Sie lebt regelrecht auf, genießt die Weite der
Landschaft und die scheinbar neugewonnene Freiheit. Auch wenn die letzte Nacht
schmerzhaft an Ulman erinnerte, ist sie beinahe glücklich. Sie hatte sich auf
jene Stelle im Stroh gelegt, auf welcher sie erst vor wenigen Wochen mit Ulman
eng umschlungen die halbe Nacht verbrachte. Seufzend wendet sie sich wieder
Amál und den anderen zu und bemerkt, dass ihr noch immer ein gelber Strohhalm
im Haar hängt. Bedächtig zieht sie ihn heraus.
„Joan?“ Amál auf Ignis winkt
sie auffordernd mit dem Kopf heran.
Sie nickt und steckt den Halm
behutsam in ihre Gürteltasche. Unversehens drückt sie ihrem Schimmel die Hacken
ihrer Reitstiefel in die Seiten und lenkt ihn zurück auf den schmalen Waldweg.
Der Specht fliegt aufgescheucht mit seinem schallend lachenden Ruf davon.
Zu ihrer
Erleichterung verschonte Amál sie bisher mit Disputen über Malcom, obwohl er
ihr bereits zu verstehen gab, unbedingt mit ihr reden zu müssen, wenn sie
wieder unter sich wären. Es graut ihr davor. Sie mag nicht an Malcom denken,
verübelt ihm seine vertrauenlose Halsstarrigkeit. Er hatte sich nicht einmal
mit einem Blick von ihr verabschiedet.
Joans Herz
schlägt bereits seit dem Aufstehen schneller als sonst. Heute wird sie ihre
Kinder in die Arme schließen. Ungeduldig späht sie nach vorn, wo die staubige
Straße in den Wald nach Dowell Castle führt. Sie kamen schneller als erwartet
voran. Die Sonne steht noch nicht einmal im Mittag. Amál neben ihr ist
ungewohnt schweigsam. Sie hatte bisher absichtlich die Sprache nicht auf seinen
Sohn gelenkt und hat es auch jetzt nicht vor. Er soll sich nicht gedrängt
fühlen. Sie müssen ihn ganz behutsam an seine Kinder heranführen. Insgeheim
weiß sie, dass er in Gedanken bei Miriam ist.
Der Wald lichtet sich plötzlich
und gibt den Blick auf die herrschaftliche Festung im See frei. Joan kneift die
Augen zu zwei Schlitzen zusammen und beobachtet drei Gestalten an der
Zugbrücke. Eine davon richtet sich zu ihrer vollen Größe auf, um ihre Schürze
über zwei kleinen Kindern auszuschütteln. Weiße Punkte wirbeln daraufhin durch
die Luft und schweben auf die Kleinen herab, wahrscheinlich Kirsch- oder
Apfelblüten, denkt Joan. Sie treibt ihren Schimmel an. Nichts kann sie mehr
halten. An der Brücke sitzt sie eilends ab und ruft die Namen ihrer Kinder.
Agnes hatte Joans Nahen bereits bemerkt und schickt ihr die beiden Hand in Hand
entgegen. Joan beobachtet, wie sie ihr lachend zuwinken und kommt nun
langsameren Schrittes auf sie zu. Sie saugt ihren glücklichen Anblick tief in
sich auf. Es trägt sich alles genauso wie in ihrem Traum zu. Mit plötzlich zur
Seite gewandtem Kopf blickt sie zum Felsen am Ufer hinüber. Wie zu erwarten ist
dort jedoch niemand zu sehen. Trotzdem ist sie enttäuscht.
„Mama“, ruft eine tiefe
Kinderstimme, worauf sie überrascht wieder nach vorn sieht. Robert strahlt sie
mit
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