Die rote Farbe des Schnees
furchtbar, Joan“, ruft er außer sich. Scheinbar regt
sich in ihm das ihr bekannte Gefühl, das eigene, wehrlose Kind schützen zu
müssen. Auch wenn es sie freut, hindert es sie momentan und so wendet sie sich
unbewegt wieder Julian zu. Sie runzelt die Stirn, als ihr Blanche schwer atmend
eine irdene Flasche vor die Nase hält.
„Hier. Aus der Küche. Damit
kannst du die Biester erschrecken und sie lassen leichter los“, erklärt sie
atemlos.
Joan ergreift die Flasche und
zieht den hölzernen Pfropfen, der sie verschloss. Dem stechenden Geruch nach
ist es Weinessig.
„Versuchen wir es“, meint sie
und will gerade dem nächsten Egel damit zu Leibe rücken, als Amál die Hände
nach seinem weinenden Sohn ausstreckt. Er nimmt ihn hoch. Julian legt das
Köpfchen matt an seine kräftige Schulter und schließt schluchzend die Augen.
Amál streicht ihm über die dunklen Locken, um sich dann mit ihm abzuwenden.
Joan wird unruhig. „Wir müssen
ihn von den Egeln befreien, Amál“, meint sie zu ihm mit eindringlicher Stimme.
„Gleich“, erwidert dieser. Sie
hört, wie er Julian leise zuflüstert. Der Kleine beruhigt sich daraufhin auf
wundersame Weise. Bedächtigen Schrittes kommt Amál wieder zurück und setzt sich
mit seinem Sohn im Arm neben Joan aufs Bett.
Sie nickt ihm anerkennend zu.
„Du verstehst es, mit ihm umzugehen.“
Er lächelt angespannt. „Ja. Es
ist wie mit Pferden.“
Als sie die Arme nach Julian
ausstreckt, beginnt dieser, wieder zu weinen und verbirgt das Gesicht an der
Brust seines Vaters. Amál schüttelt daraufhin den Kopf. „ICH halte ihn.“
Es ist Joan nur recht. Denn
somit hat sie beide Hände frei. Umgehend tröpfelt sie etwas von dem Essig auf
einen der Egel und ist von der Wirkung freudig überrascht. Der Wurm reagiert
sofort, tastet mit einem Ende durch die Luft. Als sie noch mehr vom Inhalt der
Flasche auf ihn gibt, lässt er gar los.
Sie atmen
erleichtert auf. „Blanche, du bist ein Engel.“
Joan sitzt
in der Großen Halle auf den Fellen vorm Kamin und blättert gedankenversunken in
Patricks Kräuterbuch. Die ausgelassene Stimmung an der Tafel vermag sie nicht
abzulenken. Gebührend feuchtfröhlich feiert man Raymonds Begnadigung zu dem
prächtigen Hirsch, welchen er auf seinem Jagdausflug erlegen konnte. Das Haar
ihres Vaters fällt diesem noch immer nass auf den Rücken herab. Als Blanche ihn
mit der frohen Nachricht auf der Brücke begrüßte, sprang er vor übermütiger
Freude direkt vom Rücken seines Pferdes aus in den See.
Isa rennt beinahe in sie hinein
und hastet lachend weiter, um nicht von Aidan gefangen zu werden. Die Kinder
spielen Haschen, wirbeln lachend umher und tragen das Ihrige zum bunten Treiben
in der Halle bei. Joan sieht ihnen lächelnd zu. Sie stutzt, als sie eine Kleine
erblickt, deren Gesicht ihr bekannt vorkommt. Es ähnelt dem Fionas. „Das
Bettelkind“, raunt sie erstaunt. Seinem vergnügten Lachen zufolge scheint es
wieder zu seiner Sprache gefunden zu haben. Offenbar hat es das Antoniusfeuer
unbeschadet überstanden.
Jemand setzt sich zu ihr,
worauf sie zur Seite in Awins lächelndes Gesicht blickt. „Der Trunk hat ihm gut
getan. Er schläft nun“, erklärt diese mit plötzlich glänzenden Augen. Sie
zwinkert die aufkommenden Tränen weg. „Amál ist bei ihm.“
Joan nickt. „Er scheint zu ihm
gefunden zu haben.“
Awin nickt schniefend. „Ja, das
hat er. ... Ich hoffe nun inständig, dass der Kleine wieder vollständig genest.
Dann wäre das Glück vollkommen.“
„BEINAHE vollkommen“, wirft
Joan ein.
Sie schweigen eine Weile. Dann
räuspert sich Awin. „Ich hoffe, er findet schnell wieder eine gute Frau.“
Umständlich zieht sie etwas im Rücken unter ihrem Gürtel hervor und reicht es
Joan. Dieser verschlägt es die Sprache. Ungläubig starrt sie auf die Flöte in Awins
Hand herab, um sie dann zaghaft wie etwas Zerbrechliches entgegen zu nehmen.
„Es ist Ulmans“, haucht sie
ehrfurchtsvoll.
„Ja. Ich fand sie oben in
seinem Gemach. Sie hat einen vortrefflichen Klang. Er erzählte mir einmal, dass
er sie als Kind selbst gefertigt hatte. ... Sicher wäre es in seinem Sinn, dass
du sie erhältst und seinem Sohn darauf vorspielst.“
Joan tastet über das Mundstück,
welches einst seine Lippen berührten. „Wie gern würde ich es tun. Doch ich kann
nicht Flöte spielen.“
Awin lacht vergnügt. „Nun, aber
ich kann es und werde es dir beibringen.“
Joan blickt ihr überrascht ins
Gesicht. „Oh ja,
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