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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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Joan nimmt neben Gwen Platz und verhält sich ruhig, um sie
nicht in ihrer Meditation zu stören. Sie schließt die Augen und denkt zurück an
die vergangene Nacht. Tiefe Traurigkeit ergreift von ihr Besitz. Sie gibt sich
ihr ganz hin. Jemand legt ihr tröstend eine Hand auf den Arm. Es ist Jack,
dessen Namen sie einst stahl. Sie erwidert sein Lächeln und wischt sich die
Tränen weg. Die Zunge hängt ihm wie immer etwas aus dem Mund, weil sie ein
wenig zu groß ist. Er klatscht lachend in die Hände, der Speichel rinnt ihm ein
wenig aus dem Mund. Jack hat den Verstand eines kleinen Kindes und ist doch ein
erwachsener, wenn auch etwas klein geratener Mann. Durch seinen breiten Hals wirkt
er ein wenig gedrungen. Sie mag ihn von Herzen gern, wie jeder hier. Neben ihm
kauert der stumme John. Erste graue Strähnen durchziehen sein dunkles Haar.
Seine freundlichen Augen blicken ihr rege entgegen. Über diese und seine Hände
vermag er sich ihnen äußerst geschäftig mitzuteilen. Manchmal hat man dabei das
Gefühl, als wäre er richtig laut, vergisst darüber seine Stummheit, welche auf
einer herausgeschnittenen Zunge beruht. Brian und David halten die Augen wie
Gwen geschlossen. Wie diese suchen sie die Abgeschiedenheit aus freien Stücken
und nicht, weil man sie wie Jack und John ächtet. Sie sind das, was man
gemeinhin als Wilde Männer bezeichnet. Menschen, die sich die Freiheit nicht
durch Leibeigenheit oder sonstige Zwänge der Gesellschaft nehmen lassen wollen,
welche die Nähe zur Natur und den Weg zu spiritueller Freiheit suchen. Ihr Haar
tragen sie wie ihre Bärte lang. Man vermag nur schwer zu sagen, wie alt sie
sind. Bis auf einen Lendenschurz sind sie nackt.
    Joan
schließt erneut die Augen und versucht, ihre Ruhe in sich aufzunehmen.
    Unter
Ächzen spannt Joan ihren selbst gefertigten Bogen aus dem Holz der Ulme, legt
die Sehne in den schmalen Schlitz und zieht sie straff. Eilig windet sie diese
um das Bogenende und knotet sie fest. Dann erst nimmt sie den Druck von der
Waffe und überprüft deren Spannkraft. Sie ist es zufrieden. Gwen reicht ihr die
gefiederten Pfeile mit den feuergehärteten Spitzen.
    „Robert ist gut bei mir
aufgehoben“, meint sie lächelnd.
    Joan sieht zu ihrem Sohn
herüber, der geschäftig im Wasser des kleinen Bächleins vor der Höhle spielt.
Er wird sie offenbar kaum vermissen. Sie nickt Gwen zu und macht sich auf den
Weg. Heda eilt ihr freudig voraus.
    Wie froh sie ist, dass ihr die
alte Frau keine Fragen stellt. Denn sie ist noch nicht so weit, offen über
diese Nacht vor einigen Tagen reden zu können. Doch bemerkt sie die
Veränderung, welche bereits in ihr vorgeht. Sie wird ruhiger, beginnt, alles
mit etwas Abstand zu betrachten. Immer häufiger lässt sie den Gedanken an
Malcom zu. Und es kommen ihr dabei keine Tränen mehr.
    Sie steht
auf einem niedrigen Hügel und betrachtet den Sonnenstand. Über ihren Gedanken
darf sie die Orientierung nicht verlieren. Dann vernimmt sie den Ruf von Gänsen
und wendet sich freudig in die Richtung, aus welcher diese erschallen.
    Als sie
zurück beim silbernen Bach ist, sitzt Gwen mit bloßem Oberkörper im weichen
Moos und steckt Robert Erdbeeren in den Mund. Ihr Haar ist noch nass vom Bade.
Joan lässt sich schweigend neben ihr nieder. Während sie den Bogen ablegt,
bemerkt sie erstaunt die breiten Narben auf den schlaffen Brüsten der alten
Frau.
    Gwen hat ihre Blicke
wahrgenommen und wiegt den Kopf. „Ein Andenken aus meiner Jugend“, bemerkt sie
trocken.
    „Was war geschehen“, fragt Joan
anteilnehmend, wobei sie die beiden erlegten Gänse samt den Eiern aus deren
Gelege neben sich ins Moos legt.
    Gwen blickt ihr in die Augen,
während sie Robert weiterfüttert. „Man hat mich geschändet, als ich allein im
Wald unterwegs war. ... Wegelagerer.“
    Joan richtet den Blick betroffen
nach unten auf ihre Stiefel, um ihre sich trübenden Augen zu verbergen. Sie
spürt Gwens Hand auf ihrem Arm und schnieft. „Es war wenigstens nicht dein
eigener Mann“, stößt sie verächtlich hervor.
    Sie schweigen eine Weile. Gwen
hat sich wieder Robert zugewendet, schöpft ihm mit der hohlen Hand klares
Wasser in den Mund und säubert sein Gesicht von den roten Schlieren des
Erdbeersaftes. „Nein“, erwidert sie schließlich. „Ich habe nie geheiratet. ...
Es war mir nicht möglich, glücklich mit einem Mann zu sein. ... Zumindest nicht
für längere Zeit.“
    Joan horcht auf. Sie weiß
plötzlich, dass Gwen über alles im Bilde ist. Zu gut

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