Die rote Farbe des Schnees
Erschütterungen erholen kann.
Sicher fiele es ihm leichter, sich auf Brix zu halten, säße er vorn im Sattel.
Doch er kann die Beine nicht zum Dirigieren verwenden und Joan wäre es
unmöglich, beim Lenken des Pferdes über ihn hinweg zu spähen.
Von der Schwemmebene dringt
gräuliches Geschrei zu ihnen empor. Es fesselt Joans Aufmerksamkeit. Sie kann
den Blick nicht von den fliehenden Truppen abwenden. Etliche Panzerreiter haben
es über die Flussarme geschafft. Viele sind jedoch einfach im Morast stecken
geblieben oder ertrunken. Die Schotten üben mit den Fliehenden keine Gnade. Die
leichte feindliche Reiterei macht alle nieder, die sich jenseits des Pelstream
Burn retten konnten. Über das englische Fußheer kommt nun die ganze aufgestaute
Wut der schottischen Verbände. Man jagt es über die Tiefebene und sticht es im
Blutrausch ab wie Schlachtvieh, plündert die verstümmelten Leichen bis oftmals
auf die nackte Haut. Das Leid ist unvorstellbar.
„Vae victis“, murmelt Malcom,
woraufhin sie trotz ihres spärlichen Lateins versonnen nickt.
„Wehe den Besiegten.“ Nie zuvor
empfand sie einen Spruch so dramatisch zutreffend. Erschüttert wendet sie sich
ab, um eilends aufzusitzen, bevor feindliche Reiter auf sie aufmerksam werden
und sie dasselbe Schicksal wie ihre Landsleute erleiden lassen.
Sie treibt Brix zur Eile an, so
dass Malcom unter der erneuten Marter aufstöhnt.
Reiter sprengen an ihnen
vorbei. „Flieht Richtung Carlisle“, rufen sie ihnen zu, während sie vom Pfad
Richtung Südwesten abbiegen. Mangels eines besseren Einfalles tun sie es ihnen
nach. Als sie des arg mitgenommenen Dörfchens Bannockburn ansichtig werden,
dessen Häuser man auf der Suche nach Holzbohlen niedergemacht hatte, treibt
Joan Brix verstohlen noch etwas stärker an.
Flucht vom
Schlachtfeld
Malcom
hinter ihr stöhnt vor Schmerz. Oftmals lehnt er sich gegen sie. Aus Angst, er
könne vom Pferd herabstürzen, wagt sie nicht, Brix allzu sehr anzutreiben.
Nachdem sie von mehreren hundert Reitern panisch überholt wurden, sind sie nun
mittlerweile allein irgendwo westlich der Römerstraße unterwegs. Die
aufsteigende Sonne steht fast im Mittag und weist ihnen somit den Weg nach
Süden. Joans Gedanken sind bei Gerold und Nigel. Bange fragt sie sich, ob sie
es ebenfalls aus dieser Hölle heraus geschafft haben. Sie sieht wieder Phils
starre Augen vor sich und schiebt diese Erinnerung eilends weit weg. Ihr
erscheint alles so sinnlos. Diese vielen toten, verstümmelten Menschen! Söhne
und Väter. Nichts auf der Welt rechtfertigt solche Gräueltaten. Ihr ist schwer
ums Herz wie noch nie zuvor in ihrem jungen Leben. Vorausgesetzt, sie können
sich retten, wird sie den heutigen Tag nie mehr vergessen können, da ist sie
sicher. Tapfer kämpft sie langsam aufsteigende Tränen herab. Sie hat Phil
getötet! Als sich ihr erneut dessen entsetzlicher Anblick aufdrängt, schluchzt
sie wie ein kleines Kind, ohne dass sie es abwenden könnte.
Sie kann kaum sagen, wie lange
sie schon geritten sind. Die Landschaft zieht wie im Traum an ihr vorbei. Wie
in einem ihrer ALPTRÄUME. Doch innerlich atmet Joan auf. Denn sie ist
zuversichtlich, dass sie mittlerweile außer Reichweite der vergeltenden
Schotten sind. Malcom lehnt längst gegen sie und drückt sie schwer nach vorn.
Ihr schmerzen die Bauchmuskeln, da sie dagegen halten muss. Plötzlich fällt
sein rechter Arm neben ihr herab und sie spürt, wie sein Körper langsam zur
Seite gleitet. Sie streckt ihre Rechte zu ihm nach hinten und presst diese
krampfhaft gegen ihn. „Malcom, halte durch! Wir rasten gleich.“
Unter Stöhnen hält er sich
schwerfällig, und so nimmt sie ihre Hand wieder nach vorn an die Zügel. Sie
lenkt Brix auf einen größeren Hain, vornehmlich aus kurzstämmigen Eichen und
Haselsträuchern sowie Birken, zu. Er wird ihnen als vorübergehendes Versteck
gereichen, bis sie Malcoms Wunden versorgt hat. Joan bemerkt verwundert, dass
beinahe alle älteren Eichen etwa drei Schritt über dem Boden gekappt wurden.
Gleichstarke Äste wachsen ihnen als neue Kronen empor. Offenbar hat man im
baumkargen Schottland zu wenig Bauholz, um die ausgewachsenen Eichen zu fällen,
hält sich stattdessen lieber weise an deren schneller nachwachsenden, dicken
Äste.
Sie haben erneut Glück. Joan
erblickt erleichtert das klare Wasser eines kleinen, munter dahinfließenden
Baches inmitten des Wäldchens. Sie befindet die Stelle als günstig und zügelt
Brix.
„Brix, bitte runter!“ Das
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