Die rote Farbe des Schnees
Widerhaken der
Pfeilspitze neben ihr im Gras lässt sie erschaudern. Sie hofft, keinen
unheilbaren Schaden angerichtet zu haben und betrachtet anteilnehmend Malcoms
kreidebleiches Gesicht. Schwerfällig erhebt sie sich, kniet neben seinem
Oberkörper nieder und küsst vertraulich seine schweißkühle Stirn, dann seine
warmen, weichen Lippen. Gedankenversunken streicht sie mit dem Handrücken über
seinen schwarzen Stoppelbart, der ihm seit ihrer Abreise gewachsen ist. „Ist es
Liebe“, fragt sie sich versonnen. Ohne zu zögern hätte sie ihr Leben für ihn
gegeben. Durchatmend schließt sie die Augen, um dem Herrn leise murmelnd für
ihre Errettung zu danken. Er hatte heute nicht nur eine Hand schützend über sie
gelegt. Taumelnd kommt sie wieder auf die Beine. Der Tag hatte ihr alles
abverlangt. Dabei steht die Sonne noch recht hoch. Doch sie könnte vor
Müdigkeit bereits im Stehen einschlafen. Sie beschließt daher, sich im Bach bei
einem Bade zu erfrischen, sich Staub, Schweiß und Blut vom Leib zu waschen.
Aber zuvor ist noch einiges zu tun. Überdies knurrt ihr hörbar der Magen.
Aus dürrem Gras, Moos und
Schilfblättern baut sie ihnen ein weiches Nachtlager. Zum Zudecken dienen
ebenfalls die langen, schmalen Blätter des Schilfes vom Bachufer. Nebenbei
beobachtet sie, wo verschiedene Kräuter wachsen. Sie braucht jene, welche die
Blutung stillen, die Wunden nicht brandig werden lassen und einer schnellen
Heilung förderlich sind. „Spitzwegerich als erstes und Schafgarbe hernach“,
murmelt sie, wobei sie bedenkt, dass sie für einen Absud aus letztgenanntem
Kraut ein Feuer entzünden müsste. Sie will sich zuerst mit Malcom absprechen,
ob sie es wagen können. Die Rauchsäule wäre in der Nacht ja nicht sichtbar. An
einer nahen, verkrüppelten Kiefer bemerkt sie bernsteinfarben ausgetretenes,
angetrocknetes Harz von genau der richtigen Konsistenz. Denn weder klebt es
mehr, noch ist es durch die Sonne krümelig ausgetrocknet, woraufhin sie etwas
davon ablöst, um darauf herumzukauen. Der aromatische Geschmack des
Harzklumpens wird sie vorerst ihren Hunger vergessen lassen.
Sie geht zu Malcom zurück. Er
ist noch immer bewusstlos. Behände liest sie seine verdreckte Kleidung auf.
Damit begibt sie sich zum Bach, wäscht sie sauber aus und hängt sie zum
Trocknen über den Ästen einer nahen Birke in die Sonne. Dann entkleidet sie
sich und verfährt mit ihren Sachen ebenso. Anschließend steigt sie in den Bach,
um sich genüsslich den Dreck mit Sand vom Leib zu schmirgeln. Eine wahre
Wohltat nach der Fülle von Tagen, in denen sie unterwegs waren, und jenem
unbeschreiblichen heute. Mit rot gescheuerter, prickelnder Haut legt sie sich
bäuchlings auf eine Sandbank im seichten, angenehm kühlen Wasser und stützt den
Kopf in eine aufgestellte, hohle Hand. Entspannt döst sie in der Sonne. Ihr
Haar ist beinahe getrocknet. Als sie zu Malcom herüberblinzelt bemerkt sie,
dass er sich ein wenig regt. Gemächlich erhebt sie sich aus dem Wasser, um sich
zu ihm zu begeben. Dabei steht die Sonne direkt hinter ihr und lässt
umherschwirrende Insekten sowie feine fliegende Spinnfäden geisterhaft
erscheinen. Sie verleiht Joans blondem Haar einen überirdischen Glanz.
Malcom stützt sich auf dem
gesunden Arm hoch und kann den Blick nicht von ihr abwenden. „Ich glaube zu
träumen“, raunt er ehrfürchtig, als sie neben ihm niederkniet. Erstaunt
betrachtet er ihren nackten Körper, so dass sie lachen muss. Es ist ein helles,
unbeschwert fröhliches Lachen, auf welches er ihr verwundert ins Gesicht
blickt. „Anders können Engel nicht sein.“
„Du bist noch nicht im Himmel,
Malcom.“ Sie nähert sich ihm lächelnd. Zärtlich streicht sie ihm über eine
Wange und legt ihm einen Finger unters Kinn. Sie drückt sein Gesicht leicht zu
sich hoch und küsst ihn auf den Mund.
„Joan“, raunt er versonnen.
Sie blicken sich an. Da
verschließt sich seine Miene plötzlich.
„Ich bin nicht der Richtige für
dich“, meint er abweisend
Beschwichtigend legt sie ihm
den Finger über den Mund, doch er nimmt ihn bestimmt in die Hand. Sie
betrachtet ihn eindringlich. „Lass die Toten ruhen, Malcom. Du hast sie
gerächt. Lass ihnen endlich ihren Frieden.“
Während er sich aufsetzt,
schiebt er ihre Hand weg. „Du weißt nicht, wovon du redest“, fährt er sie
grimmig an.
Sie bedenkt ihn mit
vorwurfsvollen Blicken. „Nicht nur DU hast Menschen verloren, die dir lieb und
teuer waren“, murmelt sie. Doch er weicht
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