Die rote Farbe des Schnees
mir ist es weit schwieriger, als es dir wohl erscheint. Man
beschied mir unter anderem ein widerspenstiges, dickköpfiges Gemüt, was noch zu
den harmlosesten Einschätzungen meiner Wesensart gehört. Überdies lasse ich mir
von niemandem meine Freiheit nehmen.“
Herausfordernd hebt er eine
Braue. „Du solltest mir eine bessere Beobachtungsgabe zugestehen! ... Es ist
nicht so, als hätte ich das nicht bereits bemerkt“, erwidert er spöttisch. „Trotzdem
habe ich deinen Freiheitsdrang wohl stark unterschätzt“, sinnt er nach. „Für
deine Freiheit hättest du gar die Armut in Kauf genommen, was?“ Ihre betretene
Miene beantwortet er mit einem vernehmlichen Seufzen, das er mit einer
ohnmächtigen Geste untermalt. Daraufhin müht er sich strauchelnd hoch.
Beflissen kommt sie an seine
Seite und stützt ihn bis zum Ufer. Dort lässt sie ihn stehen, um sich wieder in
den Bach zu legen. Er öffnet indes den schmalen Gürtel und streift sich die
Bruech ab. Dann geht er vorsichtig mit dem linken Bein in die Hocke, das rechte
mit dem Verband spreizt er etwas ab, um es zu entlasten. Mit den Händen stützt
er sich rücklings am Ufer ab und gleitet ins Wasser. Kaum, dass er sich etwas
zurechtgesetzt hat, trinkt er sogleich begierig aus der hohlen Hand. Er trinkt
lange. Die Hitze des gnadenlosen Gefechtes scheint seinen Durst unstillbar
gemacht zu haben. Doch schließlich ist er doch gestillt, als sich Malcom
durchatmend ein wenig aufrichtet. Bedächtig löst er sein Haar, so dass es ihm
in schwarzen Locken über den muskulösen Rücken fällt. Joan sieht ihn zum ersten
Male so. Er gefällt ihr. Sie beobachtet entspannt, wie er sich auf den Bauch
herumdreht und in die Strömung ausrichtet. Dann taucht er unter. Dabei lässt er
sich mit der Strömung bis dicht an ihre Seite treiben, wo er geschmeidig wieder
auftaucht. Er legt sich neben ihr so wie sie zurecht und blickt auf sie herab.
Es führt Joan ihre unterschiedliche Körpergröße vor Augen. Während er sich
gelassen auf die Unterarme stützt und ihre Körperlänge enorm überragt, muss sie
regelrecht den Hals recken, um kein Wasser in den Mund zu bekommen. Sie kommt
sich neben ihm geradezu zierlich vor. Allein seine Oberarme haben etwa den
Umfang ihrer schlanken Oberschenkel. Es erinnert sie an seine Bemerkung mit der
Hafergrütze, so dass sie grinsen muss.
„Was ist so amüsant?“
Auf ein belustigtes Kopfschütteln
hin nickt sie in seine Richtung. „Es scheint mir, dass DU wohl nie in den
Genuss von Hafergrütze gekommen bist.“
Er runzelt die Stirn, um
plötzlich nickend in ihr Grinsen einzufallen. Dann wird er nachdenklich. „Jack
wird mir fehlen.“
„Er liegt neben dir, Malcom.
Einen anderen Jack gab es nur in deiner Vorstellung.“
Malcom fixiert sie.
„Vorstellung“, wiederholt er verächtlich. „Du hast mir was vorgemacht, Joan“, grollt
er, deutet zu ihrer Erleichterung jedoch kurz darauf ein Lächeln an und schüttelt
dann seufzend den Kopf. „Es ist nicht so, dass mir oft jemand was vormachen
kann“, bedeutet er ihr.
Joan weicht seinem
nachdenklichen Blick verlegen aus.
Er streicht sich eine lange
Strähne hinters Ohr und dreht sich auf den Rücken herum. „Du bist ...
erstaunlich, Joan“, bemerkt er, woraufhin sie überrascht aufsieht. Ihre Blicke
treffen sich. „Aber es wäre mir trotzdem ungleich lieber gewesen, wenn du auf
der Burg geblieben wärst. Es ist ungewiss, ob ich dich unversehrt zurückbringen
kann.“
„Gott hat es so gefügt, Malcom.
Wenn ich dich nicht begleitet hätte, wärst du jetzt nicht mehr am Leben.“
Er lacht auf. „Du meinst, er
hat noch etwas mit mir vor?“
„Ja, allerdings“, erwidert sie
ernsthaft.
Malcom wiegt den Kopf. „Ich
zweifle an Gott.“
Sie betrachtet ihn versonnen.
Das Leben hat ihn gezeichnet. Hat ihn in seinem Glauben erschüttert. Doch sie
hofft, ihm neuen Halt geben zu können.
Joan rappelt sich auf, so dass
sie neben ihm zum Sitzen kommt, und berührt seinen rechten Oberarm. Die Wunde
blutet nur noch gering. Mit der hohlen Hand schöpft sie Wasser darüber und
streicht vorsichtig mit der flachen Hand so lange über das angetrocknete Blut,
bis sie es weggewischt hat. Sie lässt etwas Speichel auf die Wunde herab, da
dieser eine Wundheilung fördert. Noch dazu, wo er mit Baumharz durchtränkt ist.
Verschließt das Harz eine menschliche Wunde doch ebenso gut, wie die eines
Baumes. Daraufhin begibt sie sich zu seinen Beinen. Sie kniet sich vor ihn,
stellt sein linkes Bein an und
Weitere Kostenlose Bücher