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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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Die Tür geht wieder auf. Der Alte stellt einen Krug voll Wasser
neben einem Kanten Brot ins Stroh. „Gib Acht, dass die Ratten nicht schneller
sind“, brummt er noch im Hinausgehen und schließt die Tür erneut.
    Joan nimmt seinen Rat ernst und
kriecht vorsichtig zum Krug. Sie darf ihn auf keinen Fall umstoßen. Als sie die
kühle, irdene Wandung an den Fingerspitzen fühlt, umfasst sie das Gefäß sicher
mit beiden Händen. Es ist kein sehr großer Krug. Auf jeden Fall zu klein, um
ihrer beider Durst zu stillen. Der Brotkanten ist knochenhart. So taucht sie
ihn ins Wasser, bis er sich vollgesogen hat, und beißt ein wenig von ihm ab. Es
ist gesäuertes Brot, welches sie nun erst richtig hungrig macht. Doch nagt sie
lediglich die weichen Bereiche ab und versteckt dann den Kanten vor den Ratten
sicher im Ausschnitt ihrer Tunika. Daraufhin nimmt sie einen tiefen Zug aus dem
Krug, bevor sie mit diesem vorsichtig zu Malcom zurückkriecht. Sie tastet nach
seinem Mund, steckt ein paar Finger ins Wasser und benetzt seine spröden Lippen
und seine Schläfen. Als er nicht reagiert, wiederholt sie die Prozedur immer
wieder, bis er sich endlich regt. Unter leisem Stöhnen bewegt er die Beine
raschelnd im Stroh, so dass die Eisenkette klirrt. Joan stellt den Krug
beiseite und tastet wieder nach Malcom. Sie erwischt ihn am Brustkorb und
bemerkt, wie er erschreckt zusammenfährt.
    Er ergreift ihre Hand. „Joan?“
    „Ja.“
    Er zieht hörbar die Luft ein.
„Gottverdammt noch mal!“ Das Stroh raschelt, als er sich aufsetzt. Dann tritt
Stille ein. „Bist du verletzt“, fragt er besorgt. Er tastet nach ihr.
    Sie kommt zu ihm und schmiegt
sich vertraulich an seine Seite. „Nein. ... Vielleicht am Arm, aber es kann
nicht so schlimm sein. ... Doch was ist mit DIR?“
    Er hat sich mit ihr im Arm
gegen die Mauer in seinem Rücken gelehnt und stöhnt. „Hab’ nur ein wenig Prügel
bezogen“, bemerkt er trocken und atmet durch. „Sie waren hinter Brix her. Ich hab’
mich wirklich um dich gesorgt. Es war klar, dass sie nicht eher ruhen würden,
bis sie ihn in den gierigen Klauen hätten. ... Ich hoffte trotzdem, du könntest
ihnen entkommen.“
    „Nicht nur du“, erwidert sie
resigniert. „Doch leicht habe ich es ihnen nicht gemacht. ... Wenn wir fliehen,
müssen wir Brix zurücklassen. Er würde sie nur wieder auf uns lenken.“
    Malcom schweigt auf ihre Worte.
Dann lacht er verhalten. „Dein Humor ist etwas ungewöhnlich.“
    „Wieso? Es ist mein Ernst.“
    „Ja, das sieht dir ähnlich. ...
Ich vergesse stets, wie jung du noch bist. ... Flucht kannst du vergessen,
Joan. Völlig aussichtslos. Die Festung ist zu gut bewacht. Und selbst wenn es
in Frage käme: du solltest wissen, dass ich Brix dann niemals zurücklassen
würde.“
    Sie ist nicht sonderlich
überrascht. „Lieber riskierst du dein Leben“, meint sie verächtlich.
    „Für ihn schon. Er hat seines
schon tausendmal für mich riskiert. Ich wäre es ihm schuldig.“
    „Aber er würde es doch gut hier
haben. Im Gegensatz zu uns bekommt er genug zu fressen und zu saufen!“
    Er atmet gereizt durch. „Joan.
Vergiss die Fluchtgedanken“, entgegnet er eindringlich.
    Sie erwidert es mit mürrischem
Brummen. Darauf folgt Stille.
    Er unterbricht diese, indem er
seine Hände geräuschvoll ins raschelnde Stroh sinken lässt. „Ich fürchte, Brix
wird hier langsam eingehen. Er lässt niemanden an sich heran.“
    Sie denkt über seine Worte
nach. „Du meinst, er nimmt kein Futter von ihnen an? ... Das kann ich mir bei
dem kleinen Fresssack nicht vorstellen.“
    „Du hast ihn noch nie so erlebt,
wie die anderen.“ Er stöhnt. „Sag, hast du noch mehr Wasser? Auf meinem Gesicht
macht es sich nicht so gut gegen den Durst.“
    Sie tastet nach dem Wasserkrug
und gibt ihm diesen zerstreut in die Hände. „Aber das ist ja wunderbar“, geht
ihr auf.
    Malcom nimmt gerade etliche
tiefe Züge. Dann stellt er den nicht einmal mehr halbvollen Krug neben sich an
die Wand und dreht ihn tief ins Stroh hinein. „Ich fürchte, dir nicht ganz
folgen zu können.“
    „Sie werden von mir verlangen,
ihn zu füttern. ... Einfach verhungern lassen wollen sie ihn sicher nicht nach
all den Mühen, ihn in die Finger zu bekommen.“
    Malcom brummt mißfällig. „Mach
dir keine falschen Hoffnungen, Joan.“
    Sie wird wütend auf ihn und
löst sich energisch von ihm. „So lange ich atme, hoffe ich! Was ist so falsch
daran, hier rauskommen zu wollen! Warum gibst du dich so schnell

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