Die rote Halle
Verstand beisammen hat, muss mir das Arbeiten verbieten.
Aber ich will nicht abtreten, ohne noch einmal etwas geleistet zu haben. Ich
werde sowieso sterben.«
Als sie sich zu dem Arzt umdrehte, der mit verärgertem Gesicht und
den Händen in den Kitteltaschen immer noch vorn im Wartebereich stand und
Janina und Rost beobachtete, war ihr Entschluss bereits gefasst.
»Ich nehme ihn mit.«
Der Arzt bewegte sich nicht vom Fleck.
»Das kann ich nicht verantworten«, rief er herüber.
»Aber ich«, sagte Rost. »Ist schlieÃlich mein Körper, oder?«
»Ich kümmere mich darum, dass er zum Arzt geht«, sagte Janina, obwohl
sie wusste, dass sie keine Chance haben würde, Rost dazu zu überreden. Wenn Sie
ihm jetzt hier heraushalf, unterschrieb sie sein Todesurteil.
»Ich würde Ihnen das nicht raten«, versuchte der Arzt es ein letztes
Mal.
»Wo ist der Wisch, den ich unterschreiben muss?«, wollte Rost
wissen.
Der Arzt wies zum Anmeldeschalter und wandte sich ab, um zu gehen.
»Und meine Klamotten?«
»Im Schrank in Ihrem Zimmer.«
Damit ging der Arzt, gruÃlos und offenbar zu wütend, um höflich zu
sein.
»Und meine Tabletten!«, brüllte Rost ihm hinterher. »Sie wollen doch
nicht, dass ich an den Entzugserscheinungen eingehe!«
Der Arzt zog die Blister, ohne sich umzudrehen, aus seiner
Kitteltasche und warf sie auf einen der flachen Tische im Wartebereich.
Janina sorgte für die notwendigen Formulare. Rost musste
unterschreiben, dass er auf eigene Verantwortung das Krankenhaus verlieÃ. Er
wollte nicht, dass sie ihm beim Anziehen half.
Es kam ihr vor, als ob sie Stunden vor seinem Zimmer wartete, und
sie fürchtete schon, er könnte wieder zusammengebrochen sein. Aber dann kam er
heraus, frisch geduscht und halbwegs sicher auf den Beinen, wie es schien.
Vor dem Krankenhaustor warteten sie schweigend auf das nächste freie
Taxi, Rost lieà sich wie ein alter Mann beim Einsteigen helfen. Den ganzen
Rückweg zum Flughafen liefen Tränen über Janinas Gesicht. Sie putzte sich die
Nase und kramte in ihrer Handtasche nach Geld für den Taxifahrer.
Bevor sie ausstiegen, legte Rost ihr die Hand auf den Arm.
»Janina, du musst mir was versprechen.«
»Was denn noch alles?«, fragte sie unwirsch.
»Du darfst keinem sagen, wie es um mich steht. Es ist unser
Geheimnis, ja? Wenn sie es wissen, dann gerät es auÃer Kontrolle. Dann kratze
ich ab, nur weil alle drauf warten.«
Sie blickte nicht auf, wollte nicht, dass er sah, wie verheult sie
war.
»Guck mich mal an«, sagte er überraschend sanft. Mit seinem
Jackettärmel wischte er ihr die Tränen aus dem Gesicht.
»Wenn das passiert, dann gibt es keine letzte Inszenierung von Josef
Rost. Und das ertrage ich nicht. Bitte, Janina. Versprich es mir.«
Janina konnte nichts mehr dagegen tun, es schob sich zu einer Welle
zusammen, die nach oben drängte, und je mehr sie versuchte, sie zu
verlangsamen, sie abzufangen, desto höher türmte sie sich auf. Sie brach in
lautes Schluchzen aus, und Rost nahm sie in den Arm, genau so wie früher, zart
und doch fest, im besten und wahren Sinne väterlich, und Janina musste noch
stärker weinen.
»Wollnse nicht drauÃen weiterheulen?«, fragte der Taxifahrer. »Dann
wirdâs nicht so teuer.«
Simon kam sich merkwürdig dabei vor, aber er klopfte lieber
an die schwere Metalltür, bevor er die Basketballhalle betrat. Keine Antwort.
Bedächtig drückte er die Klinke runter, schlüpfte durch die Tür,
sobald der Spalt groà genug war, und sah sich um.
Die Halle war hell erleuchtet, doch es lief keine Musik, und es
schien auch niemand hier zu sein. Er wandte sich nach rechts, ging an der Wand
entlang zu der Seite, wo Böcke standen und Matten gestapelt lagen. DeeDee stand
mit dem Rücken zu ihm, trug einen bodenlangen Rock. Und oben nichts.
Sie drehte sich ein wenig, um ein Trikot in einen Leinenbeutel zu
stecken, und er sah die Wölbung ihrer Brust und eine Brustwarze, die lang und
dick wie ein Finger abstand.
Er hätte sich, ohne dass sie es merkte, zurückziehen und dann noch
einmal lärmend und mit »Hallo!« wiederkommen können, damit sie eine Chance
hatte, sich etwas anzuziehen. Doch er blieb, wo er war, und DeeDee musste
seinen Blick gespürt haben, denn sie drehte sich zu ihm um, ohne Hektik,
lächelte und sagte:
»Ah, da bist du
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