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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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der
Schalterhalle?
    Simon hielt den Blick gesenkt, und als DeeDee sich von ihm
zurückzog, sah er einen langen, blutenden Riss, der sich quer über den
Oberschenkel ihres verkrüppelten Beines zog. Sie ließ ihren Rock fallen.
    Â»Rose, ist alles in Ordnung mit dir, Liebes?«, sagte sie. Sie klang
wie die Ruhe selbst.
    Simon zog seine Hose hoch. Jetzt erst wagte er einen Blick.
    Rose stand da in einem hellen Trenchcoat, den sie in der Taille eng
geschnürt hatte, die Handtasche hatte sie sich diagonal über die Schulter
gehängt, sodass der Tragegurt zwischen ihren Brüsten entlanglief. Ein roter
Rollkoffer lehnte schief an ihrem Bein, das in einem durchsichtigen Strumpf
steckte. Sie sah aus wie das Klischee einer Französin. Wenn man von der
Tatsache absah, dass sie betrunken war. Nicht nur so ein niedliches bisschen,
wie bei den Mädchen in der Schule, sodass sie albern wurden und ein großes
Getue daraus machten, dass sie nicht mehr gerade gehen konnten.
    Rose war richtig betrunken. Alles an ihr schien zu wanken, und als
ihr Koffer endlich umfiel und mit lautem Widerhall auf den Boden knallte,
bückte sie sich ihm im Reflex hinterher und schaffte es von dort aus nicht
wieder in eine aufrechte Position. Stattdessen setzte sie sich einfach neben
ihren Koffer, mit ausgestreckten Beinen, fing wieder an zu lachen, und mit
Bestürzung erkannte Simon, dass das Lachen kein Lachen mehr war, sondern ein
Heulen. DeeDee war plötzlich neben ihr, Widerwillen im Gesicht, und blickte auf
sie hinab.
    Â»Von mir aus du kannst deine bescheuerte Rolle wieder haben«, lallte
Rose. »Und deine bescheuerte Dave auch.«
    Dann übergab sie sich auf den blank polierten Boden, wischte sich
Rotz und Tränen mit dem Ärmel aus dem hübschen Gesicht und legte sich auf ihren
Koffer.
    Â»Aber so eine Scheißkrüppel wie du, wer will die schon?«, murmelte
sie.
    Â»Komm«, sagte DeeDee und winkte Simon heran. »Hilf mir mal.«
    Gemeinsam wuchteten sie Rose hoch, wobei Simon darauf achtgab, nicht
in Roses Kotze zu treten.
    Â»Los, gib dir mal ein bisschen Mühe. Stell dich hin!«, schimpfte
DeeDee.
    Doch Rose war in einem halb bewusstlosen Zustand und konnte oder
wollte sich nicht mehr allein auf den Beinen halten.
    Â»Wir setzen sie dahin«, sagte DeeDee und deutete zum
Gepäckförderband.
    Sie setzten Rose hin, und sie fiel sofort hintenüber, ihr Kopf lag
auf dem Rollband, das in die Tiefe führte.
    Simon lief zurück und holte ihren Koffer.
    Â»Halt sie noch mal hoch«, sagte er zu DeeDee.
    Er schob den Koffer so hinter Rose, dass sie sie darüberlegen
konnten. Ihr Kopf hing hinten über die Kante.
    Simon und DeeDee betrachteten ihr Werk.
    Es dauerte zwei oder drei Atemzüge lang, und Rose fing an zu
schnarchen wie ein alter Mann, laut und röchelnd und völlig unpassend für ein
Tanzprinzesschen.
    Jetzt war es DeeDee, die lachte, die sich vor Lachen geradezu
schüttelte, und Simon konnte nicht anders, er musste mitlachen.
    Schließlich stieß DeeDee ihm mit dem Ellenbogen in die schmerzenden
Rippen.
    Â»Los, ich hab eine Idee!«
    Â»Was denn?«
    Â»Komm mit!«, sagte sie und ging voraus. Und nachdem Simon die ersten
zwei Türen aufgeschlossen hatte, wusste er, wo sie hinwollte. Er blieb stehen.
Die Heiterkeit war schlagartig verflogen.
    Â»DeeDee, sollten wir nicht lieber Hilfe holen? Ich meine, ihr geht’s
doch nicht so gut, oder?«
    Sie sah ihn an, ihre Augen glänzten vor Vergnügen.
    Â»Sie ist besoffen. Das ist alles. Das hört von allein wieder auf.«
    Â»Aber was hast du denn vor?«
    DeeDee zwinkerte.
    Â»Wirst schon sehen. Los, schließ auf.«
    Simon tat, was sie wollte, und als sie bei der Gepäcksortierung
angekommen waren, ging DeeDee gleich zur ersten Station und studierte die
Bedientafel.
    Â»Meinst du, das funktioniert noch?«
    Â»Weiß nicht.«
    DeeDee schaltete auf Ein , Kontrolllämpchen
gingen an.
    Dann legte sie einen Kippschalter auf Vorwärts ,
und das Band vor ihnen begann sich zu bewegen. DeeDee grinste zufrieden.
    Dann sah sie Simon in die Augen, den durchgebogenen Daumen immer
noch auf dem Kippschalter, und ohne hinzusehen legte sie ihn auf Rückwärts . Ihr Grinsen wurde noch breiter.
    Â»Was meinst du, kommt sie hier bei uns raus? Oder woanders?«
    Simon fühlte sich plötzlich sehr unbehaglich.
    Â»DeeDee, wir wissen doch gar nicht, wie eng es da drinnen

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