Die rote Halle
starrte in den Hof hinaus. Ein Kinderspielplatz.
Bäume. Dazwischen Löcher, Baugruben, Absperrband. Ein Glück, dass Simon schon
beinahe erwachsen war und Baugruben keine Gefahr mehr für ihn darstellten.
Simon kam pünktlich um acht, die Haare ungekämmt.
»Morgen, Mam«, sagte er und setzte sich ebenfalls nur mit Kaffee und
Saft ihr gegenüber an den Tisch.
Normalerweise zeigte er sich so nicht in der Ãffentlichkeit, aber
auch er erschien Janina in den letzten Tagen emotional aus den Fugen geraten zu
sein. Was auch kein Wunder war, wenn sie sich überlegte, wie Josef auf ihn
reagiert hatte.
Wenn sie nur wüsste, wie sie für ihn da sein konnte. Er saà da, die
Ellenbogen auf die Tischplatte gestützt, den Blick starr auf den Kaffee
gerichtet.
»Hey«, sagte Janina und war einen Moment lang versucht, ihm eine
Haarsträhne hinters Ohr zu schieben.
»Entschuldige, dass ich gestern einfach so weg bin. Hat DeeDee dir
erzählt, was los war?«
Simon nickte, aber er wirkte dennoch verstimmt.
»Lebt der alte Sack noch?«
»Ja. Hat er sich inzwischen bei dir für sein Auftreten entschuldigt?«
Simon schlürfte seinen Kaffee und schüttelte den Kopf.
Janina hatte es sich schon gedacht. Josef hatte jetzt tatsächlich
andere Sorgen, aber das würde sie Simon nicht sagen können. Sie hatte es
versprochen. Sie seufzte.
»Ist sonst wenigstens alles in Ordnung bei dir? Hast du zu tun?
Langweilst du dich nicht?«
»Klar. Alles okay.«
Doch seine Augen wirkten glasig, als ob er Fieber hätte, und sein
Gesicht war erhitzt. Janina hätte am liebsten seine Stirn gefühlt.
»Bist du krank?«
Simon schüttelte den Kopf, rührte in seinem Kaffee, nahm einen
Schluck, sah sie kurz an, lächelte, sah wieder weg.
»Ich hab nur schlecht geschlafen. Mehr nicht. Was hat Josef denn
nun?«
Janina wünschte, sie hätte ihr Wissen mit Simon teilen können, aber
selbst wenn Josef ihr kein Schweigegelübde abgenommen hätte, hätte sie Simon
nicht damit belasten wollen, dass sein ehemaliger Ziehvater mehr oder weniger
im Sterben lag. Andererseits, wenn es jemanden etwas anging, dann Simon. Es
wäre gut, wenn die beiden Frieden schlieÃen könnten. Bevor es zu spät war.
»Ich weià es nicht, Simon. Ich glaube nicht, dass es ihm gut geht.
Ich glaube, das wird eine verdammt anstrengende Zeit hier. Für uns alle. Im
Nachhinein denke ich, ich hätte dich zu Hause lassen sollen. Tut mir leid.«
Jetzt legte sie doch ihre Hand auf seine, und er lieà es zu, entzog
sich ihr nicht.
»Schon gut, Mam. Es sind ja nur ein paar Wochen, oder?«
Janina nickte. Sie war ihrem Sohn dankbar, dass er es ihr nicht so
schwer machte, einen Fehler zuzugeben.
»Genau. Und dann sehen wir uns Berlin richtig an.«
Janina hatte gehofft, dass er sich über diese Aussicht ein bisschen
freuen würde, aber er nickte bloÃ. Vielleicht war er wirklich nur zu müde.
Janina schaute auf die Uhr über der Kantinentür. Zehn vor neun.
»Ich muss zur Probe. Sehen wir uns danach?«
Simon stand auf, trank in einem Zug den Kaffeebecher leer.
»Ich leg mich noch mal hin. Ich rufe an, wenn ich wach bin.«
Janina nickte, aber sie sah, dass Tränen in seinen Augen standen.
Irgendetwas lag ihrem Jungen auf der Seele, und sie wusste, dass sie
nicht fragen durfte. Sie musste ihm die Chance lassen, von selbst damit zu ihr
zu kommen. Janinas Banane lag noch unangetastet vor ihr. Sie brachte einfach
nichts hinunter, was irgendeinen Brennwert hatte. Sie stellte Simons Becher auf
ihr Tablett und brachte es zur Geschirrrückgabe.
Als sie zurückkam, war Simon schon bei der Kantinentür und bog zu
den Toiletten ab.
»Simon!«
Am liebsten hätte sie ihn an der Hand genommen und ihn den ganzen
Tag hinter sich hergezogen. Er kam ihr plötzlich so verletzlich vor, so
kindlich, und sie hatte das Bedürfnis, ihn zu beschützen. Simon blieb in der
Toilettentür stehen, drehte sich zu ihr um.
»Was?«
»Kann ich nicht irgendwas für dich tun?«
»Nein, alles klar. Echt.«
»Na schön.« Janina wandte sich ab.
»Ach, Mama?«
Simon hatte sie schon ewig nicht mehr Mama genannt. Das Wort rührte
sie.
»Ja?«
»Hast du Rose heute schon gesehen?«
»Nein, wieso?«
»Ach, nur so. Ist egal.«
Dann lieà er die Tür hinter sich zufallen.
Ob er sich in die Tänzerin
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