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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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verguckt hatte? Aber sie war bestimmt
fünf Jahre älter als er. Das war ein ganzes Zeitalter, wenn man noch nicht
einmal sechzehn war. Oder war das heute alles so anders als damals? Als sie
sich in Dave verliebt hatte?
    Simon betrachtete sich im Spiegel der Kantinentoiletten.
Gelbes Licht, gelbe Haut, die Haare, schrecklich, und am Kinn ein großer,
glänzender Pickel. Das war alles zu viel. Erst dieser verrückte, zahnlose
Junkie. Dann die Sache mit DeeDee. Dann Rose, die einfach nicht mehr da war.
War sie jetzt abgehauen oder nicht? Und dann seine Mutter, die sich Sorgen um
ihn machte.
    Das Letzte, was er seiner Mutter erzählen würde, war, dass er Sex
mit einer Frau hatte, die so alt war wie sie. Allein der Gedanke daran trieb
ihm die Schamesröte ins Gesicht. Sie würde denken, nein, er konnte es nicht einmal
selbst denken. Es war ekelhaft. Einfach schrecklich. Das Beste würde wirklich
sein, er ging wieder ins Bett, zog sich die Decke über den Kopf und versuchte
zu vergessen. Einfach vergessen. Simon spürte, dass das Heulen wieder rauswollte,
und ballte die Fäuste. Nein, er hatte keine Lust zu heulen.
    Er würde einfach die nächsten Wochen verpennen, so lange, bis er
wieder nach Hause konnte. Oder er würde einfach nach Hause fliegen! Genau.
Seine Mutter wäre bestimmt auch froh, wenn er hier weg und aus dem Weg wäre.
Hätte sie eine Sorge weniger.
    Â»Warum haust du eigentlich nicht endlich ab?«
    Die Stimme klang schleppend, rau, beinahe lallend.
    Simon fuhr herum. Hinter ihm stand Rost, fingerte in seiner
Jacketttasche herum, holte eine Handvoll Pillen hervor und steckte sie sich in
den Mund. Dann trat er ans Waschbecken, trank Wasser hinterher.
    Â»Sind fünftausend nicht genug? Schön nach Japan fliegen, Karaoke
singen und Mangas kaufen, oder was ihr sonst so macht in dem Alter?«
    Rost öffnete seine Hose und pinkelte in aller Seelenruhe ins
Waschbecken. Simon konnte nicht wegsehen, obwohl der Anblick ihn ekelte. Rost
hatte noch nie Schamgefühle gezeigt, auch nicht, als Simon ein kleiner Junge
gewesen war. Als er fertig war, schloss er die Hose und roch völlig versunken
an seinen Händen.
    Â»Josef, ich hab echt keine Ahnung, von was für fünftausend du …«
    Â»Bist du immer noch da?!«, schnauzte Rost ihn plötzlich an.
    Simon wollte sich nicht einschüchtern oder beschimpfen lassen, er
wollte sich wehren. Er wollte ihm die Meinung sagen! Wollte ihm seine
stinkenden Eier rausreißen. Wollte, wollte …
    Stattdessen machte er einen Satz, als ob Rost ihn geschlagen hätte,
ergriff die Flucht, rannte den kilometerlang erscheinenden Gang entlang, die
Treppen hinauf, heulend wie ein kleines Kind. Verdammte Scheiße. Er wollte ja
hier weg! Jetzt umso mehr. Jetzt auf jeden Fall.
    Schon zwanzig nach neun. Josef Rost erhob sich von seinem
Stuhl und fragte müde:
    Â»Nun, wo ist Rose?«
    Janina erkannte, dass er sich Mühe gab, normal und freundlich zu
wirken. Er hatte gewartet, ausgeharrt, wahrscheinlich in diesen zwanzig Minuten
selbst Kraft zu schöpfen versucht, denn wie Janina hatte auch er eine
schlaflose Nacht hinter sich, und er war mehr als nur ein bisschen krank.
    DeeDee hatte wieder ihre Kamera aufgestellt, und sie war in
Trainingskleidung erschienen, als erwartete sie, sich auf der Bühne zu bewegen.
Sie trug einen weit ausgeschnittenen Body und ein Flatterröckchen darüber, das
ihr verkrüppeltes Bein überdeutlich zur Schau stellte. Janina musste sich
eingestehen, dass DeeDee für ihre Sturheit und die konsequente Verleugnung
ihres Körpers eine ebensolche Bewunderung gebührte wie Josef Rost, der gegen
seinen eigenen Tod anarbeitete.
    Dennoch verstand sie es nicht. DeeDee sah zum Fürchten aus, und die
Vorstellung, ihre eigenen körperlichen Unzulänglichkeiten in einem engen Trikot
zu präsentieren, ließ Janina beinahe erstarren vor Scham. Die anderen Tänzer
saßen und standen herum, machten hier und da halbherzige Dehnübungen oder alberten
leise miteinander herum.
    Schließlich räusperte sich Dave.
    Â»Joe, ich nehme nicht an, dass Rose noch kommen wird.«
    Janina sah, dass DeeDee lächelte, als sie die Kamera auf Dave
richtete.
    Â»Was soll das heißen?«
    Die Tür ging auf, und Simon drückte sich vorsichtig und leise in die
Ehrenhalle herein, kam direkt zu Janina herüber. Sie war froh, dass Josef Rost
offenbar nichts davon

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