Die rote Halle

bemerkte.
    Â»Mam, ich brauch Geld«, flüsterte Simon. »In vier Stunden geht ein
Flug nach Hause.«
    Er roch frisch geduscht und nach Haarspray, seine Augen waren
schwarz umrandet und sein Gesichtsausdruck absolut ernst.
    Â»In vier Stunden? Simon, darüber müssen wir erst reden. Das ist mir
zu plötzlich.«
    Â»Mam, bitte. Ich will hier weg! Ich bin mir ganz sicher.«
    DeeDee winkte Simon fröhlich zu, und Janina sah, dass er den Blick
senkte und errötete. War zwischen den beiden etwas vorgefallen? Da Simon nicht
mit ihr redete, würde sie DeeDee fragen müssen. Später.
    Â»Simon, lass uns nach der Probe reden. Wo soll ich denn jetzt
plötzlich anderthalb Tausender herzaubern.«
    Â»Gib mir deine Kreditkarte. Ich mache bestimmt keinen Scheiß damit.
Versprochen.«
    Â»Die brauche ich aber selbst.« Janina presste die Worte zwischen den
Zähnen hervor, spürte den Druck, der dahinter stand. Sie war kurz davor zu explodieren.
»Lass uns nach der Probe reden, Simon. Später gehen auch noch Flüge.«
    Â»Mam, bitte!«
    Â»Maul halten da hinten!«, rief Rost. »Was macht das Kind schon
wieder hier. Ich hab doch gesagt, du sollst dich verpissen! Dave? Ich bitte
freundlichst um Auskunft.«
    Â»Siehst du? Ich muss wirklich weg.«
    Simons Gesichtsausdruck war verzweifelt, flehend, aber das bestärkte
Janina nur umso mehr darin, ihn nicht einfach so gehen zu lassen. Erst würde er
ihr erzählen, warum. Das war das Mindeste. Sie schüttelte energisch den Kopf.
    Simon machte auf dem Absatz kehrt und verließ die Ehrenhalle.
    Dave räusperte sich umständlich, bevor er auf Josefs Frage
antwortete.
    Â»Sie hat gestern Abend ihren Koffer gepackt und ist abgezischt. Ich
hatte gehofft, sie kriegt sich wieder ein und kommt zur Probe.« Dave zuckte die
Achseln. »Hat sie aber offensichtlich nicht.«
    Rost sagte nichts.
    Â»Sie ist wohl abgereist.«
    Rost sagte immer noch nichts, und die Spannung in der Halle stieg
weiter, bis sie Janina in den Ohren sang.
    DeeDee drehte die Kamera Richtung Bühne, setzte das gesunde Bein den
großen Schritt hinauf, zog das kranke Bein nach.
    Â»Können wir dann anfangen?«, fragte sie seelenruhig.
    Und Rost nickte.
    Â»Ja, wir fangen an.«
    Daves Gesichtsausdruck sprach Bände, aber er wagte ebenso wenig wie
jeder andere in diesem Raum, irgendwelche Einwände zu erheben. DeeDee hatte
gewonnen. Sie hatte ihre Rolle zurück.
    Â»Dave, Schatz. Kommst du?«, sagte sie freundlich und streckte ihm
die Hände entgegen.
    Simon rannte die Treppe hinab, warf die Tür zur Eingangshalle
auf. Sein Rucksack war gepackt, wartete in der Bettenhauslobby auf ihn, aber es
würde keinen Sinn haben, ihn herumzuschleppen, solange er nicht das Geld für
den Flug hatte.
    Wie konnte er hier wegkommen? Er konnte es seiner Mutter nicht
erklären, das war unmöglich. Er konnte höchstens auf Rost verweisen, auf seine
Ausfälligkeiten. Das würde vielleicht genügen. Sie würde zwischen ihnen beiden
stehen, würde nicht wissen, ob sie zu ihm oder zu Rost halten sollte.
    Aber verdammt noch mal, wenn sie seine Mutter war, dann musste sie
doch zu ihm halten und nicht zu diesem alten, verrückten Arschloch! Woher
sollte er das verdammte Geld nehmen? Wohin sollte er gehen? Wen konnte er um
Hilfe bitten? DeeDee? Würde sie ihm das Geld geben? Einfach so?
    Er legte seine Stirn an eine der Glastüren, die zur Schalterhalle
führten, es kümmerte ihn nicht, dass er die Tränen nun nicht mehr zurückhalten
konnte. Seine Augen liefen einfach über, und der Knoten in seiner Kehle löste
sich mit einem würgenden Geräusch, das in heftiges Schluchzen überging.
    Die Sehnsucht nach zu Hause war übermächtig. Simon wusste selbst
nicht, ob er damit Vancouver meinte, oder etwas anderes. Vielleicht das, was
DeeDee gemeint hatte: dass er nicht mehr zurückkonnte, innen drin nicht mehr.
Weil Dinge geschahen, die alles für immer veränderten.
    Er überließ sich dem Weinen, solange es anhielt, und die Tränen
liefen auch dann noch weiter, als das heftige Schluchzen bereits verebbt war.
Durch den nassen Schleier vor seinen Augen verschwamm seine Umgebung zu blassfarbigen
Pfützen. Und da hinten, am anderen Ende der Schalterhalle, pulsierte schwarz
das Gepäckförderband. Es verschwamm zu einem großen, grauen Ei, nahm dann wieder
scharfe, schwarze Konturen an,