Die rote Halle
mein Problem, wenn du den ganzen Tag nicht da bist.
Das ist eh ein Unding.«
»Ja, schon gut. Mann, wozu brauchst du denn jetzt Daves Nummer?«
Janina hatte nicht vor, mit Ulli darüber zu diskutieren.
»Ich finde nicht, dass dich das was angeht.«
»Okay. Na ja. Sehe ich anders. Wenn ich seine Nummer rausgebe und du
ihn so spät anklingelst, kriege ich nachher noch Ãrger mit ihm.«
»Guter Versuch, Ulli. Aber ich bin die Regieassistentin.«
Kurze Stille am anderen Ende der Leitung. Dann ein Seufzen.
»In fünf Minuten bin ich unten.«
»Bis gleich.«
Janina zog sich einen Kaffee aus dem Automaten in der Küche und
wartete vor dem KBB. Es dauerte eher fünfzehn Minuten, und sie blickte immer
wieder links und rechts den finsteren, nur von StraÃenlaternen erleuchteten
Gang hinab. Der Effekt, dass man wegen der Krümmung die Enden nicht sehen
konnte, gab ihr im Dunkeln noch mehr als sonst das Gefühl, dass in jedem Moment
jemand um die Ecke kommen musste, jemand, der ihr nicht wohlgesonnen war. In
diesem Flughafen könnte man Horrorfilme drehen. Oder Computerspiele mit Zombies
und zuckenden Monstern ansiedeln, mit fiesen, fistelnden Geräuschen, so wie in
DeeDees Musik, wenn das Mädchen zum ersten Mal tötet, um die Tanzschuhe zu
bekommen: Das Knistern einer alten Grammofonplatte, ein grollender Klavierlauf,
der immer wieder auf Anfang zurückspringt, begleitet von hämmernden Drums und einem schrillen Sopran,
der unverständliche Worte singt. Die Klangfarbe ist knabenhaft
dünn, ohne Obertöne, kaputt und böse.
»So«, sagte Ulli, die wie aus dem Nichts hinter Janina aufgetaucht
zu sein schien, so plötzlich, dass Janina aus ihren Gedanken hochschreckte und
ihr entgeistert in das solargebräunte Gesicht unter dem jungenhaften
Kurzhaarschnitt schaute. Ulli sah mitgenommen aus, trotz der Bräune. Sie
schloss das Büro auf, fuhr den Computer hoch, der gespenstisch blaues Licht in
ihr Gesicht warf, so als säÃe sie noch immer im Solarium.
»W, W, W, W, Warschauer, da ist er. Ich schick dir die Nummer gleich
aufs Handy. Noch was, wenn ich schon mal hier bin?«
Janina versteckte den Schrecken, den Ulli ihr eingejagt hatte,
hinter ein wenig Zorn. »Warum war das Büro eigentlich nicht besetzt, und warum
warst du nicht erreichbar? Das hier ist wirklich dringend, weiÃt du?«
»Das tut mir leid. Ich war im Krankenhaus. Aber ich hatte eigentlich
Bescheid gesagt. Herr Rost wusste das.« Ulli blickte kurz auf. »Da hat sich bei
mir nämlich was Kleines verabschiedet.«
Es dauerte einen Moment, bis Janina begriff, was Ulli meinte, und es
war ihr peinlich, über sie geurteilt zu haben, ohne die näheren Umstände zu
kennen.
»Das ist ja ⦠das tut mir leid. Das ist bestimmt schlimm.«
»Schlimm? Nein, ich bin verdammt froh. Das wäre das Letzte, was ich
jetzt hätte gebrauchen können.«
Ulli schloss die Bürotür wieder ab, und Janinas Handy meldete den
Empfang von Daves Nummer.
»Also, ich geh jetzt ins Bett, ich bin noch ein bisschen wackelig
auf den Beinen. Nacht.«
Ulli winkte und war weg.
Janina sah ihr nach, bis sie hinter der Biegung des Flurs
verschwunden war.
Selbst als Dave sie damals auf so unfassbare Weise zurückgestoÃen
hatte, wäre sie nicht auf die Idee gekommen, das Kind loswerden zu wollen. Sie
konnte sich nicht vorstellen, wie irgendein Mensch froh sein konnte, ein Kind
zu verlieren. Selbst wenn es noch nicht gröÃer war als ein Regenwurm.
Janina wählte seine Nummer und wartete, wählte ein zweites Mal, bis
er endlich ranging.
»Hallo, ja?«
»Ich muss mit dir reden.«
»Wer ist denn da?«
»Janina. Die Assistentin und Kostümbildnerin.«
»Ah, ja. Geht es um die Probe heute? Es ist ja schon spät und â¦Â«
»Es geht nicht um die Inszenierung.«
»Ja?«
Dave wirkte vorsichtig. Bevor DeeDee so hereingeplatzt war, hatten
sie einen Moment der Vertrautheit geteilt, aber davon war jetzt nichts mehr
spürbar. Er war so distanziert, wie man es gegenüber einer spät abends
anrufenden unattraktiven Frau wohl sein musste, wenn man Dave Warschauer war.
»Es ist wichtig.«
»Hat das nicht bis morgen Zeit?«
»Nein.«
»Worum geht es denn?«
»Darüber möchte ich mit dir persönlich reden.«
Schweigen. Dann:
»Okay. Du könntest zum Südstern kommen, in die
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