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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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Starbar ,
da bin ich gerade mit … weißt du, wo das ist?«
    Â»Ja, die kenne ich von früher. Ich bin in zwanzig Minuten da. Lauf
nicht weg.«
    Janina legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten, rannte die Treppe
hinunter und war auf dem Weg, bevor sie Gefahr lief, darüber nachzudenken, was
sie vorhatte. Wenn sie rannte, würde sie auch weiterhin keine Chance haben,
doch noch Angst zu bekommen und einen Rückzieher zu machen.
    Der schnellste Weg führte zwischen Friedhof und Kleingartenkolonie
hindurch, und auch den Umweg zur Fußgängerampel sparte sie sich, schlängelte
sich stattdessen zwischen Autos in voller Fahrt über den vierspurigen Columbiadamm.
    Früher war der Durchgang zwischen Kleingärten und Friedhof
asphaltiert gewesen, aber jetzt schoss überall Gras und Löwenzahn aus dem
buckligen Pflaster, die Schlaglöcher waren nur spärlich mit Schotter
aufgefüllt, und weiter hinten ging die Straße in einen einfachen Lehmweg über.
    An einem schmalen Gittertor musste Janina anhalten, sich an den
kantigen Eisenstangen festhalten, vornüber gebeugt, um wieder zu Atem zu
kommen. Sie war noch nie in ihrem Leben gejoggt und auch noch nie in einem
Sportverein oder Fitnessstudio gewesen. Die einzige regelmäßige Bewegung, die
sie hatte, waren Wanderungen in den kanadischen Wäldern. Die waren auch
anstrengend, aber Rennen war trotzdem etwas anderes.
    Â»Verdammt«, stieß sie hervor. Der Schweiß lief ihr bereits überall
am Körper runter.
    Â»Kusch!«, machte es plötzlich neben ihr, und Janina wich erschrocken
zurück. Dann noch einmal:
    Â»Kusch!«
    Dicht hinter dem Gittertor stand ein alter Mann auf dem schmalen
Plattenweg und versuchte, sie zu verscheuchen wie einen lästigen Hund. Er war
vollkommen nackt.
    Deshalb und weil sie so erschrocken war, erkannte Janina ihn nicht
gleich, aber als er anfing, unsicher von einem Bein aufs andere zu wackeln,
fiel ihr der etwas zurückgeblieben wirkende Schuster wieder ein. Schuh-Lang.
Dort hatten sie die Tanzschuhe in Auftrag gegeben. Es kam ihr vor, als sei das
ein halbes Leben her.
    Â»Gehen Sie weg!«, jammerte der alte Mann und wedelte mit dünnen
Armen, an denen viel zu große Hände baumelten.
    Â»Verschwinden Sie, schnüffeln Sie nicht! Ich sehe hier nach dem
Rechten, passen Sie besser auf. Merken Sie sich das! Vergessen Sie es!«
    Janina wich zurück. Obwohl es sicher kaum Harmloseres gab, als einem
alten, verwirrten Flitzer zu begegnen, raste ihr Herz.
    Endlich drehte der Alte sich um und schlurfte, nackt, wie er war,
die Treppen zu dem Teich hinunter, der schwarz und rund in einer Senke lag. Sie
konnte den Blick nicht abwenden, schlich sich wieder näher an das Gitter heran,
um seinen Weg verfolgen zu können.
    Der Alte stieg in den Teich, wollte vielleicht in Ruhe eine Runde
schwimmen, nachts. Wahrscheinlich war das verboten, darum hatte er sie
verscheuchen wollen. Genau. Das war alles. Dennoch konnte sie ihren Blick nicht
abwenden.
    Der Alte schwamm, den Kopf hoch aus dem Wasser gereckt, mit
schnellen, ruckenden Bewegungen. Er paddelte tatsächlich wie ein Hund. So
arbeitete er sich langsam einige Meter voran, und dann, als er etwa in der
Mitte des Teichs angekommen war, begann er im Kreis zu paddeln. Sein Kopf
sackte immer wieder ab, rutschte unter die Wasseroberfläche. Es war
offensichtlich, dass er gar nicht schwimmen konnte. Was, wenn er ertrank? Was
machte er dort bloß?
    Und dann kam er nicht mehr hoch. Janina zählte, bis zehn, bis
fünfzehn. Bis zwanzig. Okay. Sie musste etwas tun. Sie packte das Gittertor,
setzte einen Fuß an und wollte sich hochziehen, als der Alte plötzlich wieder
auftauchte. Sie hörte sein Husten bis hier herauf. Er richtete sich auf, seine
Brust ragte zur Hälfte aus dem Wasser, und er begann auf und ab zu federn, als
stünde er auf einem Unterwassersprungbrett.
    Â»He, Sie! Ist alles in Ordnung?«, rief Janina dem Alten zu.
    Â»Alles recht!«, rief der Alte zurück und winkte. »Verschwinden Sie!
Vergessen Sie es!«
    Janina nickte, ließ das Gittertor los, setzte den Fuß ab, der schwer
wie ein Klumpen Blei auf den Weg klatschte. Gut. Es ging sie nichts an, was der
Alte nachts in einem Teich tat. Sie musste weiter.
    Es gab kein Schild an der Eingangstür, die Starbar war nur etwas für Eingeweihte. Janina nahm sich
keine Zeit, wieder zu Atem zu kommen. Kurz dachte sie daran, dass

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