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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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ungewohntes Gefühl, dass sie es nicht benennen konnte.
    Trotz seiner klaren Worte lächelte Dave das Jungenlächeln, das
Grübchen in seine Wangen zauberte und seine Augen strahlen ließ. Selbst wenn er
böse war, war er noch lieb. Doch diesmal war Janina nicht beeindruckt. Es ließ
sie kalt.
    Â»Hast du mich eigentlich nicht wiedererkannt?«, wollte sie wissen.
    Ihre Stimme war ruhig, nichts von der Wut lag darin, die sich in
ihren Eingeweiden um sich selbst drehte wie ein Tier, das einen Ausgang sucht.
    Daves Augen wurden schmaler, er sah sie wachsam an, schüttelte den
Kopf. Dann seufzte er.
    Â»Willst du dich nicht erst mal hinsetzen, was bestellen?«
    Janina setzte sich auf die Kante eines Sessels, gerade aufgerichtet,
eine Haltung, die ihr trotz ihres Umfangs immer eine gewisse steife Würde
verlieh. Doch dann ließ sie sich nach hinten in das weiche Leder sinken, entspannte
sich.
    Sie brauchte diesen Moment, bevor sie es aussprechen konnte. Nicht
weil sie Angst hatte. Es war eher so, dass sie Dave noch ein wenig zappeln
lassen wollte. So wie er damals sie hatte zappeln lassen auf dieser
Premierenfeier, als er sie nicht angesehen hatte, nicht mit ihr geredet hatte.
Als er Wichtigeres vorgehabt hatte.
    Ein junger Kellner kam, ein hübscher Mann mit dunklen Augen,
vielleicht ein Tunesier oder Marokkaner.
    Â»Möchten Sie etwas trinken?«
    Â»Einen Mai Tai bitte«, sagte Janina, ohne nachzudenken, und
erwiderte den glühenden Blick, den der Kellner ihr zuwarf. Sie wusste
natürlich, dass sie für einen Nordafrikaner so etwas wie ein Schönheitsideal
repräsentierte. Blond, weiß, üppig. Aber es war das erste Mal, dass sie sich
unter einem solchen Blick wohlfühlte, dass sie annehmen konnte, was dieser für
sie viel zu junge Mann in ihr sah.
    Â»Einen Mai Tai. Darf ich Ihnen auch noch etwas bringen?«
    Dave winkte ab, und der Kellner verschwand wieder.
    Janina überlegte, ob heute ein guter Tag wäre, um mit dem Rauchen
anzufangen. Aber dann fand sie, dass es genug sei. Sie würde sich nur
lächerlich machen. Sie schloss die Augen und schmeckte die Worte, die sie
gleich sprechen würde.
    Â»Der Name Janina sagt dir nichts?«
    Sie lauschte, Dave rutschte offenbar auf dem Sofa hin und her. Sie
sollte die Augen öffnen, damit sie sein Gesicht sehen konnte. Aber noch war es
nicht so weit.
    Â»Wir kennen uns von der Cenerentola- Inszenierung.«
    Stille, dann zögerlich:
    Â»Nein, tut mir leid.«
    Das konnte doch nicht wahr sein. Konnte ihre Affäre so wenig
Eindruck auf ihn hinterlassen haben? Hatte er so wenig dabei empfunden? Sie
hatte immer das Gefühl gehabt, er würde, genau wie sie in ihm, ganz in ihr
aufgehen, ganz und gar im Jetzt und vollkommen hingegeben. Janina hielt die
Augen immer noch geschlossen.
    Â»Wir haben genau vierunddreißig Mal gevögelt. Du mochtest es, wenn
ich dabei deine Sachen trug. Damals haben sie mir gepasst.«
    Â»Einmal Mai Tai.«
    Â»Danke«, sagte Janina, richtete sich auf, besah sich das große Glas,
das der Kellner mit einer schwungvollen Bewegung vor sie hinstellte. Sie fühlte
die Kälte, die es ausstrahlte.
    Â»Jan?«, fragte Dave ungläubig.
    Janina nickte. »Ich mochte es nicht, dass du mich so nennst.«
    Dave lachte.
    Â»Du warst damals so knabenhaft. Ich habe dich echt nicht
wiedererkannt!«
    Dave schien sich tatsächlich zu freuen, diese Wissenslücke zu
schließen. Als wäre es das Normalste von der Welt, über sechzehn Jahre alten
Sex zu reden.
    Â»Mensch! Was hast du denn die ganzen Jahre gemacht? Du warst damals
so plötzlich verschwunden, wir haben uns gar nicht verabschiedet. Es ging ja
dann auch alles so drunter und drüber wegen Sebastians Tod und DeeDees Unfall.«
    Â»Ich habe unseren Sohn großgezogen.«
    Erst nachdem sie es ausgesprochen hatte, begann Janinas Herz zu
jagen, wurden ihre Hände feucht. Sie hatte sich alle Aufregung für diesen
Moment aufgespart, und sie wünschte, sie hätte die Worte zurücknehmen können in
die Dunkelheit des Käfigs in ihrem Innern, um sie dort weiter ruhigzustellen.
    Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Jetzt ging es nur noch voran.
Janina nahm einen tiefen, zitternden Atemzug.
    Â»Ich wollte es dir an dem Abend sagen, als du dich verlobt hast.
Leider wusste ich nichts von dieser Verlobung.«
    Sie wartete, dass Dave reagierte, wartete eine Ewigkeit, wie es ihr
schien,

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