Die rote Halle
Dave.
Sie lauschten, hörten ein leises Plitschen, dann, tatsächlich, einen
schwachen Ruf.
»Hallo? Bitte Hilfe!«
»Hallo?«, rief Dave erneut. »Sind Sie im Wasser?«
»Ich kann nicht raus!«
»Wie lange ist er denn da drin?«, fragte Dave.
»Seit ich zu dir in die Bar gekommen bin. Anderthalb Stunden? Zwei?«
»Ich rufe einen Notarzt«, sagte Dave und tippte die Nummer ein.
»Ja, Dave Warschauer. Wir brauchen Feuerwehr und einen Rettungswagen
in die Kleingartenkolonie am Columbiadamm. Jemand ist dort in einem Teich und
ruft um Hilfe, und hier ist keine Beleuchtung ⦠Ja. Wir warten.«
»Sollten wir nicht rüberklettern und ihn rausholen?«
Dave zögerte. »Meinst du?«
»Was, wenn ihm was passiert, bevor jemand da ist?«
Dave nickte und kletterte behände über das Gittertor. Dann packte
Janina die Gitter, setzte den Fuà an, genau wie zuvor. Wie lange konnte man im
Wasser überleben, wenn es so warm war wie jetzt? Die Brühe in dem Teich müsste
fast Körpertemperatur haben. Janinas Fuà rutschte ab, sie versuchte es erneut,
versuchte sich hochzuziehen, doch obwohl sie spürbar an Gewicht verloren hatte,
genügte die Kraft ihrer Arme nicht, um sich hochzuziehen. Müsste das nicht
eigentlich jeder gesunde Mensch schaffen, das eigene Gewicht hochziehen? Das
Gefühl, in ihrem Körper nicht zu Hause zu sein, kehrte auf einen Schlag und mit
voller Wucht zurück.
»Ich komme da nicht rüber, Dave«, rief sie.
»Jemand muss sowieso auf die Feuerwehr warten«, rief er zurück.
Janina nickte. Plötzlich war ihr kalt in ihrem verschwitzten
T-Shirt. Sie sah Dave nach, der zwischen den Hecken verschwand. Dann war sie
allein.
Die Feuerwehr brach das Gittertor kurzerhand auf, und die
Männer eilten mit ihrer Trage, Sauerstoff und Rettungskoffern die Stufen hinab.
Janina wollte nicht dabei sein, wenn sie den alten Mann aus dem Wasser zogen.
Sie wollte einfach nur nach Hause, sie wollte mit Dave allein sein.
Sie wollte, dass der nächste Tag kam und DeeDee sie zu Simon brachte, wie er es
gesimst hatte. Sie hatte noch nicht einmal ein Geburtstagsgeschenk für ihn.
AuÃer, dass sie seinen Vater mitbringen würde. Sie hoffte, dass das nicht
vollkommen nach hinten losgehen würde.
Janina hörte Bewegung im Wasser und die Stimmen, die vom Teich zu
ihr heraufdrangen.
»Ich hab ihn! Kommen Sie, ich halte Sie fest.«
Und dann: »Hier ist noch was im Wasser.«
»Nein, nein, da ist nichts im Wasser«, hörte Janina den Alten rufen.
»Vergessen Sie das.«
»Gut, legt ihn da hin.«
»Was sollen wir vergessen?«
Janina ging ein paar Stufen zum Teich hinunter und rief den Männern
von Weitem zu:
»Entschuldigen Sie. Ist es okay, wenn ich gehe?«
»Ja, vielen Dank für Ihren Anruf!«
»Dave?«, rief Janina.
»Ich kann nichts erkennen«, sagte ein Feuerwehrmann, der mit einer
starken Taschenlampe die Oberfläche des Teichs absuchte. »Das muss man im
Hellen machen.«
»Sollen wir die Polizei einschalten?«
»Neinneinnein! Nicht die Polizei, das würde Hanno gar nicht
gefallen. Nicht! Vergessen Sie es!«
»Okay. Macht Ihr das mit den Kollegen? Wir bringen ihn ins
Krankenhaus.«
Janina hörte die Worte, und ein unfassbarer Gedanke stieg in ihr
auf. Sie wollte ihn nicht denken. Morgen würde sie Simon sehen, gleich nach der
Vormittagsprobe würden sie zu ihm gehen. Sie waren verabredet. Das war das Einzige,
woran sie denken sollte.
Und dann war Dave bei ihr, legte einen Arm um die Schultern, und so
gingen sie.
»Gehen wir zu dir oder zu mir?«, wollte Dave wissen und grinste.
»Zu mir«, sagte Janina mit einer Selbstverständlichkeit, die vor ein
paar Stunden noch undenkbar gewesen wäre. Sie hatte das Gefühl, in ihrem ganzen
Leben noch nicht so müde gewesen zu sein. Trotzdem wusste sie, dass keiner von
ihnen würde schlafen können.
»Ich will alles über Simon wissen«, sagte Dave, »wie er ist und was
er sich zum Geburtstag wünscht. Wann ich ihn sehen kann. Und über die Sache mit
Rost muss ich auch mehr wissen.«
Janina fasste Dave an der Hand und nahm ihn mit.
TAG 12 â BRUCH
Durch die meterhohen Fenster fiel frühes Licht herein,
tauchte die Ehrenhalle in glühendes Rot und spiegelte sich auf HahNis glattem,
schwarzem Haar. Sie rieb sich an Matti, der Dave markieren musste und
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