Die Rote Spur Des Zorns
Fliesen des Mittelgangs los. Es war Viertel nach zwölf. Rekordzeit für eine Trauung ohne Abendmahl.
Clare ging in die Sakristei, wo sie ihr Messgewand auszog; auf dem Weg ins Büro wünschte sie, sie hätte daran gedacht, Shorts und T-Shirt aus dem Pfarrhaus mitzunehmen. Die Büroräume und der Gemeindesaal boten nicht die Annehmlichkeiten kühler Kirchenmauern, und Clare war deshalb bereits verschwitzt, als sie an ihren Schreibtisch trat. Sie schaltete den Ventilator an, der ihr schnurrend heiße Luft entgegenblies, und ließ sich in ihren Sessel fallen. Sie hatte es eilig, den Papierkram für das Ordnungs-und Meldeamt zu erledigen.
Durch das Rauschen des Ventilators hörte sie, wie das Bodenreinigungsgerät ausgeschaltet wurde. Eine Pause entstand; dann brummte das Ding erneut los. Clare vertiefte sich in ihr Kirchenbuch, wurde aber von einem scharfen Klopfen am Türstock aufgeschreckt. Russ steckte die Nase ins Büro. »Hey.«
»Hallo«, antwortete sie.
Er lehnte sich an den Türrahmen, ohne den Raum zu betreten. »Auf dem Gehsteig vor der Kirche liegt Vogelfutter. Ich fürchte, ich habe ein paar Körner mit reingeschleppt.« Er hob einen Fuß, um das Profil seiner Wanderstiefel zu inspizieren. Etwas, das wie winzige Schrotkügelchen aussah, fiel zu Boden und wurde sofort vom Luftstrom des Ventilators in den Gang hinausgeblasen.
»Hat Mr. Hadley Sie angebrüllt?«
»Angebrüllt nicht direkt. Aber er war auch nicht gerade erfreut.«
Clare schob die amtlichen Papiere zusammen und stand auf. »Sie sind ja gar nicht in Uniform.«
Er sah an sich hinab und tat so, als wäre er überrascht, Polohemd und Jeans statt braunem Popelin zu entdecken. »Ich habe dieses Wochenende frei, also bin ich offiziell nicht dienstlich hier.« Er grinste sie an, sodass seine Zähne leicht zum Vorschein kamen. »Sie dagegen wirken sehr dienstlich.« Er deutete auf ihr kurzärmeliges Priesterhemd und ihren schwarzen Rock.
»Für heute hab ich Feierabend. Lassen Sie mich noch schnell ins Haus gehen, damit ich mich umziehen kann; dann wäre ich so weit.« Sie sah ihn kurz an, bevor sie die Dokumente unnötigerweise noch einmal zusammenschob. »Falls Ihr Angebot immer noch gilt.«
»Versprochen ist versprochen, oder?«
»Ich könnte jederzeit …« Sie suchte im Geiste nach irgendeinem Pfarrei-Mitglied, das zufällig zu Peggy Landrys Haus fahren würde »… sonst jemanden bitten.«
»Doch das erübrigt sich, weil ich Sie ja fahre. Und außerdem sollen Sie mir den Weg zu einem Gespräch über Ms. Landrys Neffen ebnen. Sie erinnern sich?«
Clare erinnerte sich nur ungern. Es war verblüffend, wie solche Ideen – »Schnapsideen« – im nüchternen Tageslicht wirkten. »Also meinetwegen.«
»Mein Wagen steht auf der Rückseite.«
»Dann treffen wir uns dort. In fünf Minuten.«
»Und nehmen Sie ein bisschen was zu trinken mit. An einem Tag wie heute leidet man schnell unter Flüssigkeitsmangel.«
Clare flüchtete ins Pfarrhaus, bevor sie weiter herumfaseln könnte. Dankbar, aus ihrer heißen schwarzen Tracht herauszukommen, warf sie sich in Shorts und eine ärmellose Bluse. Dann inspizierte sie im Badezimmerspiegel kurz ihre Frisur. Sie hatte sich nach dem Duschen Zeit genommen, ihr Haar hochzustecken; deshalb saß es immer noch gut und war nicht verschwitzt. Sie schlüpfte in ihre Turnschuhe, schnappte sich eine Flasche »Poland Spring« aus dem Kühlschrank und lief zu dem kleinen Parkplatz hinter der Kirche.
Der Sitz des Pick-up klebte ihr an den Schenkeln. Russ hatte beide Fenster heruntergekurbelt, aber der Wind, der durch die Führerkabine blies, fühlte sich an wie die Abluft aus einem Haartrockner. »Haben Sie denn keine Klimaanlage in dieser Kiste?«, fragte Clare.
»O doch.« Er tätschelte liebevoll das Armaturenbrett. »Mein Baby hier besitzt alle Schikanen.«
Clare warf ihm einen Blick zu; dann sah sie zum Temperaturregler. »Was ist?«, sagte Russ. »Soll ich sie einschalten? Wir fahren doch nur fünfunddreißig Meilen pro Stunde. Das Lüftchen tut gut.«
»Ihre Klimaanlage ist mit einem Tempomat gekoppelt? Wann setzt der ein?«
»Wenn ich zu schnell fahre, höre ich durch das Rauschen das Radio nicht mehr.«
»Was haben Leute wie Sie nur gegen Klimaanlagen? Das ist eine der tollsten Erfindungen des zwanzigsten Jahrhunderts, und hier im Norden tun alle so, als holte man sich davon den Aussatz. Als wäre es etwas, womit man sich zwar öffentlich manchmal abgeben muss, was man aber nie und nimmer mit
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