Die Rote Spur Des Zorns
beschrieb ihn als eine Art persönliches Sorgenkind, und einer meiner Gesprächspartner heute Abend hält ihn für … kein sehr großes Licht.«
»Sehen Sie, so denken Sie , weil Sie mit intelligenten Menschen verkehren. Aber glauben Sie mir, die meisten Verbrechen gehen auf das Konto von Idioten. Darum schnappen wir sie ja fast immer. Es hätte nicht viel Verstand dazugehört, Malcolms Ex und den anderen ordentlich eins auszuwischen; nur Bosheit, Heimtücke und ein paar Mäuse. Laut McKinley haben sie die Opfer und die Art, wie sie es machen wollten, selbst bestimmt. Die einzige Bedingung ihres Auftraggebers war, dass sie nichts stehlen durften. Was ich zugegebenermaßen für einen klugen Schachzug halte, denn wenn Diebesgut erst einmal auf dem Markt auftaucht, haben wir normalerweise eine viel bessere Chance, den Täter aufzuspüren.«
»Demnach glauben Sie, es könnte Malcolm gewesen sein.« Clare schien mit sich selbst zufrieden. »Ha.« Sie drehte sich wieder zu ihm um. »Was haben Sie jetzt vor?«
Er fühlte eine sonderbare Wärme – vor allem in der Brustmitte –, die nach außen drang und seine Haut erröten ließ. Es war nicht Verlegenheit oder sexuelle Erregung; er konnte das Gefühl nicht identifizieren.
»Inwiefern?«
»Was haben Sie vor, um einen Durchsuchungsbefehl für Malcolms Zimmer zu erwirken? Außer dass Sie Officer Entwhistle losschicken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er viel finden wird; Malcolm ist ja noch nicht lange wieder in Millers Kill. Er hat vorher in Baltimore bei Bill gelebt. Sagen Sie – ob die drüben im Stuyvesant Inn vielleicht mehr wissen? Malcolm und Bill haben doch dort immer zusammen logiert.«
Freude, das war es, erkannte Russ. Schlicht und einfach Freude über Clares ehrliches Interesse an ihm, an seiner Arbeit, an dem, was ihm etwas bedeutete. Und sofort überkam ihn ein kaltes Schuldgefühl. Er verglich Clare mit seiner Frau, was ganz und gar unfair war. Linda schützte sich durch ihr Desinteresse an seinem Beruf vor Angst und Besorgnis. Lindas Denken und Vorlieben waren anders als seine – das hatte er schon bei der Hochzeit gewusst, ja, er hatte es sogar begrüßt, als eine wohltuende Abwechslung von all dem Mist, mit dem er sich als MP tagaus, tagein herumschlagen musste. Nicht sie hatte sich verändert, sondern er.
Und dass Clare auf irgendeine Weise zu ihm, so wie er jetzt war, zu … passen schien, das sollte sich nie – nie und nimmer – negativ auf seine Frau auswirken, die wunderschön, fröhlich, witzig und treu war. Im Gegensatz zu ihm selbst, der hier kurz vor Mitternacht in seinem Pick-up durch die Gegend fuhr und in seinem Herzen Ehebruch beging.
»Russ? Huu-hu. Jemand da? Was geht Ihnen durch den Kopf?«
»Jimmy Carter.« Er verzog den Mund zu einem Halblächeln und sah sie kurz an; statt der erwarteten Amüsiertheit oder Verwirrung begegnete er einem Blick voll so tiefem Verständnis, dass er aus Ärger über sich selbst wieder unwillkürlich auf seinem Sitz herumrutschte.
Clare wandte sich erneut nach vorne, während er verlangsamte, um in die Meersham Street mit ihren schmucken kleinen Häuschen und gleichmäßigen Baumreihen einzubiegen. »Was haben Sie jetzt vor?«
»Bezüglich Malcolm?«
»Ja, bezüglich Malcolm.«
Am liebsten hätte er geantwortet: Scheiß auf Malcolm; stattdessen aber richtete er seine Gedanken mit aller Kraft wieder auf die vertrauten Bahnen – die sicheren Bahnen von Ermittlung und Kombination. »Ich würde gern mal ein Wort mit Peggy Landry über ihn reden. Ganz unverbindlich. Bloß mal ein bisschen nachhaken. In welcher Beziehung er selbst zu BWI stand, abgesehen von Ingraham. Ob er irgendwelche ihr bekannten Einkünfte hat und woher sie stammen. Ob ihr an seinem Verhalten irgendetwas aufgefallen ist, das auf Drogenkonsum deutet.« Er sah eine Sekunde zu Clare; dann konzentrierte er sich wieder auf die Straße. »Glauben Sie, sie wird mit mir über ihn reden? Freiwillig?«
»Was Malcolm betrifft, wirkte sie eher entnervt und verärgert als beschützend«, antwortete Clare. »Sie scheint mir wie jemand, der ihn aus dem Haus werfen würde, wenn sie wüsste, dass er illegale Drogen lagert. Frei nach dem Motto: ›Wer seinen Neffen liebt, der züchtigt ihn.‹ Allerdings schien er seinerseits sie in Schutz zu nehmen, als er mit diesem anderen Mann sprach.«
Russ nickte. »Dann werde ich mir einen triftigen Grund ausdenken, sie mal zu besuchen. Ich möchte sie ungern vorladen, damit es nicht schon wieder so
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