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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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ich die nicht in die Kirche bringen?«
    »Nein, Todd. Tante Sue und Onkel Bill bringst du in die Kirche, und zwar spätestens bis halb zwölf! Die Kerzen müssen rechtzeitig zu Mom und Dad, damit die Floristin sie abholen und nach St. Alban’s mitnehmen kann!«
    »Wieso kann ich sie dann nicht einfach der Floristin bringen und –« Ein anschwellendes »Iiih« schnitt ihm das Wort ab. »Schon gut. Schon gut. Bis sieben sind die Kerzen bei Mom. Versprochen.«
    »Sieben Uhr früh.«
    »Ja natürlich! Weißt du, um Tims Hochzeit wurde nicht halb so viel Wirbel gemacht. Da brauchte ich nur ein Jackett und musste pünktlich da sein.«
    »Tim ist ja auch ein Mann. Ich habe von diesem Tag schon als kleines Mädchen geträumt! Da muss alles bis aufs i-Tüpfelchen stimmen. Es soll so sein, als wäre ein Märchen wahr geworden.«
    »Das hat Prinzessin Di auch gedacht.«
    »Todd! Du bist schrecklich!« Ihre Stimme wurde wieder milder. »Eines Tages lernst auch du jemanden kennen – jemand ganz Besonderen, weißt du –, und dann wirst du verstehen.«
    »So? Na … kann sein. Du, ich muss mich beeilen. Es ist kurz vor Feierabend, und im Laden sieht’s aus wie Kraut und Rüben.«
    »Ich hab dich lieb, Knallkopf.«
    »Ich dich auch, Fischgesicht. Bis morgen.«
    »Mit den Kerzen!«
    »Mit den Kerzen.«
    Todd MacPherson verstand etwas von der Macht der Fantasie. Er hatte jeden einzelnen der Filme gesehen, die in seiner Videothek zu leihen oder zu kaufen waren, und genau wie als kleiner Junge vermochten sie ihn immer noch in eine andere Welt zu entführen, wo die Menschen besser aussahen, wo Gefahr ein Aphrodisiakum war und wo sich Probleme innerhalb von zwei Stunden Spielzeit lösten.
    Seine eigenen Probleme waren hartnäckiger. Während er die zurückgegebenen Kassetten einordnete und Regale aufräumte, die der übliche Freitagabend-Ansturm durcheinander gebracht hatte, überlegte er, wo er nach Ladenschluss hingehen solle. Vorausgesetzt, er trabte nicht einfach nach Hause und warf sich vor die Glotze. Es gab da eine kleine intime Kneipe in Hudson Falls, aber er wusste schon im Voraus, wer Freitagabend dort wäre, und konnte den Gedanken an die ewig gleiche Leier, die Gespräche und Wehklagen, nicht ertragen. Ein größeres Lokal war in Saratoga. Dort würde man vielleicht ein paar neue Gesichter sehen, aber das bedeutete je eine Dreiviertelstunde Fahrt hin und zurück, und es würde furchtbar spät, wenn er morgen taufrisch und wie aus dem Ei gepellt bei Trishas Hochzeit sein sollte. Um ehrlich zu sein, hatte er dort auch noch nie Glück gehabt. Die Typen, die zusammen verschwanden, waren groß, schlank, sonnengebräunt, und wenn sie Geld hatten, wussten sie, wie man sich einen Pulli modisch um die Schultern schlingt, wenn sie Sexappeal hatten, wussten sie sich mit Militärklamotten zu kleiden. Todds Garderobe bestand aus Jeans, die sich an den falschen Stellen beulten, und T-Shirts, die alte Filmplakate und Filmfestprogramme zeigten.
    Er wischte eine verstaubte Kopie von »Die grünen Teufel« an seiner Hose ab und sortierte sie dann wieder unter »John Wayne« ein. Seine Busenfreundin Janine hatte vor vier Jahren auf dem Gemeindecollege ihren Associate-Abschluss gemacht, um anschließend nach New York City zu gehen. Heute besuchte sie die New Yorker Filmhochschule, wenn sie nicht gerade als Beleuchterin und Mädchen für alles bei Off-off-Broadway-Inszenierungen am Rockefeller Center arbeitete. Sie rief jedes Wochenende an und befahl ihm, endlich aus diesem verdammten Millers Kill wegzuziehen, zu ihr. In der High School waren sie beide Außenseiter gewesen, Kreaturen von einem anderen Stern, beide absolut unfähig, sich den Jungs und Mädchen in ihrer Umgebung anzupassen. Und beide hatte man sie deshalb schikaniert oder nicht beachtet. Heute aber verfügte Janine über einen großen Bekanntenkreis, und ihr Freund war ein aufstrebender Stückeschreiber, während Todd der Dorftrottel blieb – ein allein stehender Dorftrottel.
    Er hob eine Kassette mit dem Titel »Wie verrückt und aus tiefstem Herzen« vom Boden auf und nahm Alan Rickmans Gesicht in Augenschein. Er fand, dass er Alan Rickman irgendwie ähnlich sah, jünger, natürlich, und mit langen Haaren. Diese braungebrannten, versnobten Boys in Saratoga kamen einfach nie nahe genug heran, um es zu bemerken. Er warf das Video in seinen Händen hin und her. Vielleicht würde er doch nicht ausgehen. Vielleicht bliebe er ein bisschen länger, um in seinem Filmfestival-Regal

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