Die Rote Spur Des Zorns
ins Haus gesperrt, aber ihre Anhörung ist erst morgen um neun, und bis sie draußen ist, wird’s vielleicht Mittag. Die Tiere können nicht die ganze Zeit drinnen bleiben.« Er stieß den Atem aus. »Ich würde ja selbst fahren und sie rauslassen, aber ich habe noch bis Mitternacht Dienst, und es wird sowieso schon knapp. Ich muss unbedingt wieder auf Streife.«
Clare sah zu ihren Linguine, Tomaten und Knoblauchzehen, die nebeneinander auf dem Hackbrett lagen – zu dem Weinglas, das aufs Einschenken wartete. »Sie wissen, ich helfe gern, aber … in das Haus Ihrer Mutter gehen … sollte so was nicht lieber ein Familienangehöriger machen? Ihre Frau? Ihre Schwester?«
»Janice ist mit den Kindern übers Wochenende zu den Schwiegereltern gefahren, und mein Schwager ist mit vierzig Kühen allein. Die ließe er nie unbeaufsichtigt, selbst wenn Gott höchstpersönlich ihn mal kurz rüberbestellen würde. Und Linda kann ich nicht bitten.« Sein Tonfall erlaubte keine weitere Frage.
»Und wenn nun …« Clare versuchte, sich Gründe auszudenken, warum dies ein schlechter Vorschlag sei. »Aber hier in meinem Hof haben sie keinen Auslauf. Es sind doch so große Tiere.«
»Na, dann gehen Sie mit ihnen in den Park und lassen Sie sie von der Leine.«
»Ist das denn nicht verboten?«
»Nein, zum Teufel! Der Park ist sehr tierfreundlich. Es gab dort früher zwei große Wassertröge für Pferde und für Hunde. Die wurden in den Achtzigern abgerissen.«
Die einzigen Gegenargumente, die ihr jetzt einfielen, waren nur noch Schwachsinn.
»Clare«, sagte er, und seine Stimme senkte sich auf ein fast unhörbares Flüstern. »Bitte.«
Sie machte die Augen zu. »Ja. Natürlich. Bin schon unterwegs.«
»Finden Sie denn allein hin?«
»Die Army hat mir sehr teure Maschinen anvertraut, die ich über sehr weite ungekennzeichnete Strecken fliegen musste. Da werde ich die Old Scanadaiga Road schon finden.«
»Old Sacandaga Road.«
»Die auch. Ist das Haus abgeschlossen? Wie soll ich dort reinkommen?«
»Ja, das Haus ist abgeschlossen.« Sie konnte hören, wie er sich eine Bemerkung zu ihren eigenen Gewohnheiten verkniff. »Der Zweitschlüssel liegt unter dem Geranientopf, ganz außen links von der Treppe. Nicht bei der Küchentür, sondern vor der Haustür.«
»Keine Sorge. Ich werde die Hunde so lange wie nötig bei mir beherbergen. Sagen Sie Ihrer Mom, sie soll einfach anrufen, wenn sie aus dem Knast raus ist« – sie grinste über das Geräusch, das er machte – »dann sehen wir weiter.«
»Danke, Clare. Ich stehe in Ihrer Schuld.«
»Deine Schuld ist dir vergeben. Nun geh hin und tue ein Gleiches.«
Er lachte. »Jawohl, Pater Flanagan.«
Beim Auflegen dachte sie, wie es ihr gefiel, Russ zum Lachen zu bringen. Das entschädigte fast für die Art, in der ihre bleischweren Glieder darauf reagierten, sich anzuziehen und wieder rauszugehen. Sie hatte drei Einladungen zu Picknickpartys, zwei zum gemeinsamen Betrachten des Feuerwerks, eine zu einem Ausflug nach Saratoga, wo heute Abend im Zentrum für Darstellende Kunst ein Konzert stattfand, und sie alle hatte Clare abgelehnt, weil sie wusste, dass sie nach zwei Gottesdiensten und dem Zehn-Kilometer-Lauf nur noch eins fertig brächte: sich vor den Fernseher zu schmeißen. Sie nahm die Linguine vom Herd, und während sie zum Umziehen nach oben ging, sagte sie: »›Wohlan, noch einmal stürmt, noch einmal, Freunde‹.«
Auf der Old Route 100 zwischen Millers Kill und Margy Van Alstynes Haus herrschte weit mehr Verkehr als am Donnerstag. Clare überholte Familienbusse voll übermüdeter Kinder, winzige Kleinwagen, auf deren Dächern Kajaks im Wind zitterten, und bass-dröhnende Stereoanlagen auf Rädern. Auf dem Streckenabschnitt durch die Wälder musste sie wegen eines Lasters bremsen, der auf den ersten, flüchtigen Blick Nationalgardisten von einem Manöver aufzusammeln schien. Erst als sie die Männer, die aus dem Gebüsch kamen, aus der Nähe sah, erkannte sie die orangen und grünen Leuchtfarbenkleckse auf ihren Jacken und begriff, dass es Paintball-Spieler waren. Auf dem Weg zur Kreuzung zwischen Route 100 und Old Sacandaga Road begegneten ihr nicht weniger als drei Busse, die Schlauchbootfahrer vom Hudson Richtung Heimat beförderten. Erstaunlich, dass Leute gutes Geld bezahlten, um an einem Tag, wo siebzehn Grad und Regen vorhergesagt waren, in einem Gummiboot zu sitzen, von der alles durchdringenden Nässe ganz zu schweigen!
Als Clare den Schlüssel gefunden und
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