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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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kein Problem.
    Früher, in ihrer Lieutenant-Zeit, hatte Clare sich einmal hoffnungslos in einen höhergestellten Offizier verknallt: einen Hauptmann, ihren unmittelbaren Vorgesetzten, einen Captain, und wäre zwischen ihnen etwas zustande gekommen, dann hätte es sie beide den Job kosten können. Ihre Gefühle, hatte sie damals gelernt, bekam sie nur in den Griff, wenn sie niemals Gedanken über so jemand nachhing, nie Fantasien um ihn spann, nie in Tagträumen schwelgte. Bei Ablauf ihrer Pflichtzeit war sie von dort weggegangen, und schon nach einem Jahr konnte sie sich nicht mehr vorstellen, was sie an ihm gefunden hatte.
    Als sie, schlingernd wegen Bobs und Gals aufgeregtem Hin und Her, mit ihrem kleinen Wagen zum Pfarrhaus einbog, ging es ihr schon besser. Selbstdisziplin, darin war sie ein Fachmann. Und wie zur Belohnung ihrer guten Vorsätze wartete auf ihrem Anrufbeantworter eine Nachricht für sie.
    »Clare? Hallo, hier Paul. Ich hoffe, Sie können mich einigermaßen hören, ich bin nämlich am Telefon im Krankenhausfoyer und das Ding stammt aus der Regierungszeit Eisenhowers. Tolle Neuigkeiten! Emil ist zu Bewusstsein gekommen und reagiert auf Ansprache! Ihm selbst fällt das Sprechen zwar ein bisschen schwer, aber der Neurologe sagt, das sei zu diesem Zeitpunkt ganz normal, das hätte nichts zu bedeuten. Er erkennt mich und seine Kinder und hat es sogar geschafft, uns ganz leicht die Hand zu drücken. Ich bin so dankbar – ich kann es Ihnen gar nicht sagen. Ich hoffe, Bob und Gal geht es gut« – beide Hunde kläfften kurz, als sie ihre Namen hörten – »und sie strapazieren Sie nicht allzu sehr. Ich versuche Sie morgen noch mal zu erreichen, Clare, sobald es Neuigkeiten gibt. Nochmals vielen Dank für alles.«
    »Seht ihr?«, sagte sie zu den Bernhardinern. »Gute Taten tragen ihren Lohn in sich. Los, machen wir uns etwas zum Abendessen.«

    Zwei Portionen Linguine später und mit einem Glas Chianti auf dem Sofa ausgestreckt, wo sie ein Fernsehkonzert der Boston Pops anschaute, kam Clare der Gedanke, sie könne sich selbst einen Hund zulegen. Es machte Spaß, einen Ansprechpartner in der Küche zu haben, selbst wenn weder Bob noch Gal besonders redegewandt waren. Und der Anblick der beiden, wenn sie der Länge nach auf dem Parkett lagen, erzeugte tiefes Wohlbehagen. Man kam sich dabei so englisch vor. Wie bei den Serien »Der Doktor und das liebe Vieh« und »O’Neill und seine Schäfchen«. Vielleicht könnte sie sich ja eines von diesen Leinencapes und einen Spazierstock besorgen. Sie gähnte.
    Gal und Bob standen auf, schüttelten sich und trotteten in die Diele.
    »Was ist? Wollt ihr Gassi gehen?«
    Bei dem Wort »Gassi« bellten beide Hunde. Clare stöhnte. Während sie sich vom Sofa herabrollte, fingen sie an zu winseln und zu hecheln, und als sie zu ihnen in die Diele stieß, hatten sie es so eilig, nach draußen zu kommen, dass ihre Krallen auf dem Holzboden scharrten und klickten.
    Als sie die Tür öffnete, schlug Clare eine feuchte Kälte entgegen, aber trotzdem rannten die Hunde schnurstracks zur Gehsteigkante, drehten sich nach ihr um und begannen zu bellen.
    »Pscht! Pscht!« Clare kämpfte sich in ihre Turnschuhe und setzte einen Schutzhelm mit Reflektorstreifen auf. Wo hatte sie nur diese Leinen hingelegt? In die Küche? Als sie auf die Veranda trat, liefen ihr die Bernhardiner entgegen, sprangen freudig herum und bellten sogar noch lauter. »Pssst! Es ist neun Uhr abends, um Gottes willen. Wir sind hier nicht auf dem Land! Ich habe Nachbarn.« Sofort setzten sich die Hunde hin und blickten erwartungsvoll zu ihr auf. »Ich kriege allmählich das Gefühl, ihr habt heute nicht genug Auslauf gehabt – im Gegensatz zu mir. Was? Also los, gehen wir rüber zum Park. Wenn sie das Feuerwerk wegen des Wetters nicht abgesagt haben, dann sehen wir vielleicht sogar was davon.«
    Die schmiedeeisernen Laternen entlang der Church Street hatten alle ihren eigenen Lichthof, einen sanften, kreisrunden Schimmer in der feuchten Luft. Das kalte, grelle Orange wirkte wie Gaslicht, das die rot-weiß-blauen Flaggen beschien und auf dem nassen, raschelnden Laub ringsum tanzte. Die Hunde waren still geworden, sobald Clare sie von der Leine ließ, und sie vernahm ferne Geräusche, getragen von dem heraufziehenden Nebel. Um diese Uhrzeit gab es nur wenige Passanten. Immer wieder hörte Clare Schritte, und jemand tauchte aus dem Dunstschleier auf, lächelte oder schien erschrocken, aber schon war er wieder

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