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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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von der Rückseite des Podests, um nicht in dem Stoff der Fahnen zu versinken, und durch das entstehende Chaos kämpfte sich die Sprecherin der Demonstranten an den Rand der Bühne vor, ein Megafon in der Hand. »Eltern von Millers Kill! Wollt ihr die Gesundheit eurer Kinder aufs Spiel setzen, damit eine Baufirma in Baltimore reich wird?«
    Russ unterdrückte mit aller Macht den Drang, die Augen zuzumachen. Das durfte nicht wahr sein! Da stand er, sein größter, personifizierter Albtraum.
    Die Leute auf dem Podest schienen hilflos zu sein. Niemand brachte es über sich, die Sprecherin anzugreifen, und wer konnte es ihnen verdenken? Die Knochen einer Vierundsiebzigjährigen waren ja so zerbrechlich.
    Russ befand sich jetzt in Rufweite. »Mom!«, brüllte er. »Komm sofort da runter!«

9
    G roßer Gott«, sagte Clare laut zu sich selbst. Hinter ihr drängte sich jemand vorwärts, sodass sie ins Stolpern geriet und ihren Vordermann mit dem Inhalt einer halb leeren Wasserflasche bespritzte. Der Betroffene drehte sich um und schnauzte sie an. »Tut mir wahnsinnig leid«, sagte Clare, während sie ihr eigenes nasses T-Shirt vom Körper wegzog. Sie bekam eine Gänsehaut, denn nach einem Dauerlauf kühlte sie immer schnell aus, und eigentlich hatte sie sich nur ihre offizielle Zeit holen, zu ihrem Wagen gehen und ihre Flanellsachen anziehen wollen. Jetzt steckte sie zwischen aufgebrachten Menschen fest – vor ihr die Demonstranten, die Spruchtafeln schwenkten, und hinter ihr scheinbar halb Millers Kill.
    »Mom, komm sofort da runter!«, hörte sie Russ rufen.
    Mrs. Van Alstyne senkte ihr Megafon. »Da musst du schon raufklettern und mich holen«, erwiderte sie. Die Umstehenden brüllten vor Lachen, und Clare konnte sehen, wie Russ bis über beide Ohren errötete.
    »Ich weiß, einige von euch meinen, wir müssten uns mit der Schadstoffverseuchung abfinden, weil wir nun mal in der Nähe von Hudson Falls wohnen«, sagte Mrs. Van Alstyne in das Megafon. »Und ich weiß, einige meinen, die Jobs, die durch die neue Anlage entstehen, wären ein paar zusätzliche Chemikalien im Grundwasser wert.«
    Die Schaulustigen schoben Clare immer näher auf den Kern der Demonstranten zu. Die Gesichter ringsumher wirkten erheitert, verblüfft, fassungslos, wütend. Clare konnte eine … zwei … drei Videokameras sehen, die auf Margy Van Alstyne, den Polizeichef und die Protestler gerichtet waren. Diese Sache hier würde besser dokumentiert als eine Bush-Ansprache.
    Eine junge Frau schlüpfte zwischen den Zuschauern hindurch, drückte Clare ein fotokopiertes Flugblatt in die Hand und kämpfte sich mit den Ellenbogen weiter in die Menge, wo sie verschwand. In dem herrschenden Gedränge musste Clare sich den Zettel dicht vor die Nase halten. »Baustopp! Sofort!«, verlangte die fette Überschrift. Das Flugblatt bestand einerseits aus einem Frontalangriff gegen BWI, andererseits aus einer makabren Aufzählung der gesundheitlichen Folgen von PCB. Clare richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Margy Van Alstynes Rede.
    »Es ist bekannt, dass PCB Krebs verursacht! Es ist bekannt, dass PCB den Aggressionstrieb steigert!« Clare konnte Russ’ Kopf über den anderen sehen. Der Chief kämpfte sich zur Tribüne durch.
    »BWI, eine Firma mit Sitz in Baltimore, wird aus diesem Bauprojekt einen millionenschweren Profit schlagen! Dafür bekommen wir Niedriglohnjobs im Dienstleistungsbereich und genug PCB-belastetes Wasser, um dreißig Prozent der Bevölkerung mit Krebs zu verseuchen!«
    »Besser so ein Job als gar keiner!«, schrie jemand aus der Menge.
    »Sie haben uns acht Dollar Stundenlohn versprochen«, plärrte eine Frau.
    Hinter Mrs. Van Alstyne näherte sich zielstrebig Bill Ingraham. Russ sprang auf die Vorderkante der Bühne und winkte ihn weg.
    »Seht sie euch an, eure Freunde und Nachbarn!«, rief Margy Van Alstyne. »Jeder vierte könnte innerhalb der nächsten zehn Jahre an Krebs sterben. Wie viele Dollar Stundenlohn ist das wert? – Nein! Halt! Nimm die Pfoten weg!«
    Russ hatte seine Mutter mit beiden Armen um die Taille gepackt und hob sie vom Boden hoch. Mrs. Van Alstyne reckte ihr Megafon aus seiner Reichweite. »Ich habe ein Recht zu sprechen! Meine Redefreiheit ist durch die Verfassung garantiert!«
    Russ grunzte vor Anstrengung, sie vom Bühnenrand wegzuzerren. »Nur mit vorheriger Genehmigung«, erwiderte er keuchend. Seine Mutter zappelte, wand sich und schlug um sich, während er nach hinten wankte und der Bürgermeister sowie

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