Die Rote Spur Des Zorns
hinter dem gelben Band, am Rand des Scheinwerferlichts. »Sie dort.«
Russ konnte eine Frau mit bleichem, ovalem Gesicht erkennen, die, eingezwängt zwischen zwei mächtige schwarz-weiße Hunde, am Fuß eines Ahornbaums saß. »Das kann nicht Ihr Ernst sein!«, sagte er.
»Doch, es ist Ihre Pastorin.«
»Sie ist nicht meine Pastorin«, erwiderte Russ, während er auf Clare zuschritt.
Bei seinem Näherkommen blickte sie auf. Ihre Augen waren gerötet und verquollen, ihre Haut kreideweiß, und ihr dunkelblondes Haar hing ihr schlaff auf die Schultern. Sie hatte ihren Arm um einen der großen Hunde geschlungen, die Finger tief in seinem Fell vergraben. Mehrere Schritte von ihr entfernt blieb Russ stehen, weil er sich selbst nicht traute; vielleicht würde er sie berühren, wenn er noch näher käme. Er sank in die Hocke, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein. »Alles okay?«, fragte er.
Sie nickte. »Ja« – es klang, als probierte sie eine neue Stimme aus – »ich … Was immer auch passiert ist, es war längst vorbei, als ich ankam.«
»Können Sie mir Genaueres darüber erzählen?«
Sie nickte noch einmal. Holte tief Luft. »Ich bin mit den Hunden hierher spazieren gegangen. Ich kam diesen Weg dort entlang« – sie deutete auf die Ostseite der Mill Street – »da begann das Feuerwerk. Es gab ein kleines Gittertor, genau hinter der Ecke der Fabrik, das habe ich aufgestoßen, um schneller hinzukommen, und dann witterte Gal etwas. Sie fingen beide zu winseln und zu knurren an. Ich hielt das für – ich weiß nicht – ich weiß nicht, für was ich es hielt, aber ich ging nachsehen, was ihnen Angst machte.« Clare schlug sich eine Hand vor den Mund. Ihre Augen schwammen in Tränen. »Es war so … Ich muss dauernd an dieses schaurige alte Lied denken, das wir in der Kirche meiner Großmutter immer gesungen haben.« Sie lehnte ihren Kopf an den Baum. »›Es ist ein Brunnen voller Blut, dem Blut Emmanuels‹«, sang sie mit dünner Stimme. »›Es ist ein Brunnen voller Blut, dem Blut Emmanuels, Und alle Sünde tilgt die Flut dies wundersamen Quells. Der Dieb in seiner Todespein zog freudig zu ihm hin; Nicht minder sündhaft und gemein wusch ich mich rein darin.‹«
Einer der Hunde jaulte und stieß sie mit dem Kopf. Sie griff in sein Fell, während sie sich mit der anderen Hand die Augen rieb. »Als Kind hat mir das immer Angst gemacht.«
»Kann ich Ihnen nicht verdenken.« Russ’ Hand zuckte.
»Es war dieser Bauunternehmer, Bill Ingraham. So viel konnte ich erkennen, selbst wenn …«
»Ja, hab schon gesehen. Erzählen Sie mir mehr über dieses Tor. War es offen?«
Sie holte noch einmal tief Luft. »Ja. Zuerst wunderte mich das, weil es offensichtlich nicht regelmäßig benutzt wird. Es gab keinerlei Pfad von dort in den Park.«
Russ warf einen Blick in die angedeutete Richtung. »Haben Sie, als Sie durch das Gebüsch kamen, irgendetwas bemerkt?«
»Nein. Aber ich war ja auch hauptsächlich damit beschäftigt, aufzupassen, dass mir die Zweige nicht ins Gesicht schlagen. Es war kein Mensch weit und breit, wenn Sie das meinen.« Sie runzelte die Stirn, und er entspannte sich etwas, als er sah, dass ihre emotionale Reaktion allmählich der Vernunft wich. »Die Hunde hätten gebellt, wenn der oder die Täter den gleichen Weg genommen hätten. Blutgeruch macht sie nervös, und Ingraham war bestimmt –« Sie schien einen Moment verstört, aber dann fuhr sie fort: »Ingraham hatte bestimmt viel Blut auf seinen Kleidern.«
»Ja, das glauben wir auch. Ist Ihnen im Umfeld der Leiche irgendetwas aufgefallen? Etwas, das verändert oder merkwürdig aussah?«
»Mein Gott, ich weiß nicht. Selbst wenn Hinweisschilder an den Bäumen gehangen hätten, hätte ich sie nicht bemerkt.« Sie wandte ihr Gesicht ab und drückte es kurz auf den Nacken eines der Hunde. »Leider habe ich die Spuren wohl verdorben. Ich weiß noch, wie ich dachte: Nichts anfassen!, aber ich bin irgendwie rückwärts gestolpert, ich … wollte nur weg.« Ihr Gesichtsausdruck änderte sich erneut, und Russ wurde klar, dass Clare sich schämte. »Nicht einmal an ein Gebet hab ich gedacht. Ich wollte nur schleunigst meine eigene erbärmliche Haut retten und blieb erst stehen, als ich eine Frau mit einem Handy traf, die die Sache meldete. Aber selbst nachher wollte ich auf keinen Fall in … seine Nähe.«
»Das war auch richtig so«, sagte Russ nachdrücklich. »Wir legen keinen großen Wert darauf, dass Leute an irgendeinem Verbrechensschauplatz
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