Die Rote Spur Des Zorns
diese Blutergüsse? Genau kann ich es bisher nicht sagen. Dazu ist eine Untersuchung des darunter befindlichen Knochens nötig. Aber ich glaube, sie wurden dem Opfer erst nach der Tat beigebracht.«
»Danach?«, fragte Lyle.
»Diese Blutergüsse sind flach und von relativ geringem Umfang. Es gibt keine Schwellungen. Bei lebendem Gewebe treten Schwellungen sehr rasch ein, aber postmortem verlangsamt sich dieser Prozess beträchtlich. Ich vermute, der Mord geschah sehr schnell, und dann hat man auf die Leiche eingeschlagen.«
»Unkontrollierte Wut?« Lyle sah zu Russ und zog seine dicken Brauen hoch.
»Oder er wollte, dass es so wie bei den anderen Opfern aussieht«, sagte Russ. »Es war doch ein Mann, oder? Es gehört enorm viel Kraft dazu, jemandem einen Draht durch die Kehle zu ziehen.«
»Unbedingt. Ich vermute zwar, auch eine außergewöhnlich starke Frau wäre dazu imstande, aber ich tippe auf einen erwachsenen Mann. Und der Draht oder die Angelschnur, die benutzt wurde, waren entweder um etwas Stabiles gewickelt, das er festhalten konnte, oder –«
»Der Täter trug Handschuhe«, beendete Lyle den Gedankengang. »Das würde ich gerne wissen.«
»Damit wir ihm statt Handschuhen Handschellen verpassen«, sagte Russ. »Können Sie bestätigen, dass die Tat hier geschah, Doc?«
»O ja.« Dr. Scheeler deutete auf das Blut am Rand des Troges, das allmählich gerann. »Meines Erachtens besteht kein Zweifel, dass er lebend hierher gekommen ist. Vielleicht kann ich im Labor noch Spuren finden, ob es freiwillig geschah oder nicht.« Damit nahm er Russ’ Frage vorweg, richtete sich wieder auf, zog mit einem Ruck seine beiden Latexhandschuhe aus und steckte sie ein. »Mit der vorläufigen Untersuchung bin ich fertig. Mein Bericht dürfte innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden auf Ihrem Tisch liegen. Der toxikologische Befund dauert länger; das ist Sache der State Police.«
Auch Russ streifte seine Handschuhe ab und verabschiedete sich. »Danke, dass Sie so schnell gekommen sind.«
»Hat mich gefreut, Ihnen behilflich sein zu können. Nur die Umstände sind bedauerlich. Emil Dvorak ist ein guter Bekannter von mir und ein hervorragender Pathologe. Verdammte Schande, diese Geschichte.«
Sie verließen das Gebüsch, und Russ signalisierte den Männern vom Leichenschauhaus, sie könnten jetzt ihres Amtes walten. »Wir müssen die Absperrung auf das ganze Gebiet ausdehnen«, sagte er zu Lyle. »Ich möchte, dass dieser Grünstreifen beim ersten Tageslicht von dem kleinen Tor bis zum Flussufer durchgekämmt wird. Auf irgendeinem Weg muss der Täter ja verschwunden sein, und das blutüberströmt. Vielleicht hat er unterwegs seine Handschuhe weggeworfen. Es muss irgendetwas da sein.« Sein Blick fiel auf Clare. Sie saß immer noch mit den Hunden unter einem Baum. »Und ich muss mir etwas ausdenken, um Reverend Fergusson nach Hause zu schaffen.«
»Was läuft da eigentlich zwischen Ihnen?«, fragte Lyle in neutralem Tonfall.
»Was soll das heißen? Gar nichts läuft zwischen uns. Ich bin ein glücklich verheirateter Mann.«
»Ja, das war ich auch mal«, erwiderte Lyle.
Russ’ Entgegnung wurde von einem Freudenschrei Sergeant Morins abgeschnitten, der, gefolgt von den beiden Leichenträgern, aus dem Gebüsch trat. »Sehen Sie sich an, was unter der Leiche war.« Er hielt mit seinen Fingern, die in Latexhandschuhen steckten, ein nasses, blutfleckiges Stück Papier hoch. Die Scheinwerfer beleuchteten es so grell, dass die schwarzen Buchstaben hervorsprangen und Russ sogar aus mehreren Schritten Abstand die dick gedruckte Überschrift lesen konnte: »Baustopp! Sofort!«
11
R uss machte einen Moment die Augen zu, aber der grell beleuchtete blutige Papierfetzen verschwand nicht. »Okay«, sagte er, »stecken Sie’s in eine Tüte! Wenn wir Glück haben, kriegen wir sogar ein paar brauchbare Fingerabdrücke.«
Lyle schob sich näher heran. »Ihre Mom sitzt doch noch im Gefängnis?« Als Russ zähnebleckend herumschnellte, hob der Deputy mit gespielter Unterwürfigkeit die Hände. »Hab ja nur Spaß gemacht! Nur Spaß!«
Russ grunzte. »Sie schon. Aber demnächst kommt wirklich jemand auf diese Idee! Allmächtiger, das fehlte noch – dass man denkt, ich hätte ein persönliches Interesse am Ausgang dieses Falls.«
»Ach, wer sollte schon ernsthaft glauben, Ihre Mutter oder irgend so ein Ökofreak aus ihrem Freundeskreis würden Ingraham die Kehle durchschneiden? Sie haben sie ja nicht gerade mit
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