Die Rote Spur Des Zorns
stellte sich neben sie und knurrte ebenfalls. Clare sträubten sich die Nackenhaare. Sie sah sich unwillkürlich um. »Wer da?«, fragte sie und legte dabei jedes Quäntchen Autorität in ihre Stimme, zu dem sie imstande war.
Der Dunst hellte sich auf, als am Himmel grün-rosa Strudel wirbelten. Es gab ein explosionsartiges Geräusch, aber unten, in den Büschen vor Clare, war nur das Rascheln von Laub zu hören. Sie wusste, sie sollte einfach verschwinden. Mit den Hunden zum Wasser gehen und sich das Ende des Spektakels anschauen. Sicher ließe sich dort leicht jemand mit einem Handy finden, und sie könnte die Polizei anrufen, falls sie ernsthaft glaubte, dass etwas nicht stimmte. Sie sollte weg hier, sofort.
Sie nahm die Leinen kurz und ruckte daran. »Los, vorwärts«, sagte sie im Bemühen, die Hunde zu dem Dickicht hinzuziehen. Zu gut erzogen, um sich zu weigern, folgten sie ihr, aber mit eindeutigem Widersteben. Beim Näherkommen fing Gal erneut zu winseln an, und zwei Meter vor dem Gebüsch ließen beide Tiere sich wimmernd auf den Bauch fallen.
Trotz der kühlen Feuchtigkeit in ihrem Gesicht und trotz ihrer nassen Haare spürte Clare, wie ihr ein heißes Prickeln über Arme und Rückgrat lief. Eine Sekunde lang wurde ihr schwindlig, und sie blinzelte. Dann merkte sie, dass sie zu schnell und zu flach geatmet hatte. Sie machte den Mund weit auf und sog die Luft ein, doch sie zitterte, und ihr Herz beruhigte sich kein bisschen.
Sie zog erneut an der Leine, aber die Hunde winselten nur noch kläglicher, als Clare an ihnen vorbeitrat, um ein wirres Gestrüpp aus Sumach und Süßem Nachtschatten auseinander zu ziehen. Sie spähte dahinter. Nichts. Ihrem inneren Widerstreben zum Trotz bahnte sie sich einen Weg durch Sträucher und Unterholz mit winzigen Zweigen mit Beerenbüscheln. Nichts. Die Spitze ihres Turnschuhs stieß an etwas Festes, und sie verschluckte einen Schrei. Dann aber hörte sie einen metallischen Klang, und ein Rohr rollte unter ihren Fuß. Sie war auf alte Leitungen getreten. Sie ging in die Hocke und tastete in der Dunkelheit herum, bis ihre Hände auf etwas trafen – anscheinend glatter Marmor oder geschliffener Granit. Als sie über die Form strich, fühlte sie sich an einen Sarkophag erinnert. Sie verscheuchte den morbiden Gedanken aus ihrem Kopf. Das Ding war rechteckig, ausgehöhlt und mit abgerundeten Kanten. Ein Bassin? Ihre Finger glitten durch etwas Nasses, das an der kühlen steinernen Innenwand klebte. Clare hielt den Atem an, riss ihren Kopf zurück und sprang auf die Beine. Dann begriff sie, was sie entdeckt hatte. Einen der von Russ erwähnten Tröge. Sie atmete den Geruch von altem Wasser, totem Laub und von Rost ein. Die Hunde hinter ihr jaulten, und eine Sekunde flackerte trotz Clares Angst Verärgerung in ihr auf. »Was ist denn?«, fauchte sie. »Wenn hierdrin eine ertrunkene Katze liegt, dann könnt ihr –«
Am Himmel verwandelte sich gerade eine weiße Explosion in eine Kaskade von Gelb und Lila. Blaue Kreise erfüllten die Nacht, und eine Salve ohrenbetäubender Schläge schallte durch die Luft. Jetzt konnte Clare den Trog erkennen: bleich wie Knochen, lang wie ein Kindersarg, bedeckt von den scheckigen Schatten des Laubes. Und da, endlich, erkannte sie auch den Grund für das Winseln der Hunde. Sie sah das Feuerwerk als dickes schwarzes Blut an den Rändern zerfetzten Fleisches.
Über dem wilden Getöse des Finales hörte sie ein bebendes, wimmerndes Stöhnen, das immer lauter wurde und schließlich laut gellte, bis es erstickte. Und dann erkannte sie: Sie selbst stieß diesen schrecklichen Laut aus, während über ihr Lichter explodierten wie Gewitterblitze, die es abwechselnd taghell hervortreten und wieder verschwinden ließen – das aufgedunsene, blutige Etwas, das einmal Bill Ingraham gewesen war.
10
B ei Russ’ Eintreffen war der Tatort beleuchtet wie ein Rummelplatz. Zwei auf Stativen befestigte Scheinwerfer überfluteten Boden und Bäume mit einer grellen Helligkeit, die Laub und Zweige unnatürlich scharf aus den Schatten hervortreten ließen. Die Lichter zweier Streifenwagen kreisten monoton neben etwas, das bei der Polizei von Millers Kill nur der »Fleischkarren« hieß – der flache, gedrungene Leichentransporter, der dann zum Einsatz kam, wenn für den Einsatz eines Rettungswagens keine Notwendigkeit mehr bestand. Außerhalb eines straff gespannten, gelben Absperrbands hüpften ziellos ein Dutzend oder mehr Lichtkegel von Taschenlampen umher,
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