Die Rote Spur Des Zorns
deren Besitzer Wolldecken und Kühlboxen zusammenpackten, um sich näher an das heranzudrängen, was noch viel aufregender war als das Feuerwerk. Weißes, rotes und gelbes Licht brach sich auf dem ständig tiefer sinkenden, feinen Nebel, bis die ganze Nacht schimmerte und Russ glaubte, einzelne Wassertröpfchen in der Luft schweben zu sehen.
Mark Durkee, der bei Kevin Flynns Einstellung die Karriereleiter hochgefallen war, trat mit gezücktem Notizblock auf die Menschenmenge zu – wahrscheinlich, um Namen und Aussagen aufzunehmen. Russ duckte sich unter dem Band hindurch und winkte Lyle MacAuley. »Hey«, sagte er. »Haben Sie ihn darauf angesetzt?« Er deutete mit einer Kopfbewegung nach Durkee.
»Er ist von selbst drauf gekommen. Hat in irgendwelchen schlauen Büchern gelesen, dass der Verbrecher immer an den Ort der Tat zurückkehrt und dass man von den Zuschauern Bilder machen soll, ehe man sie gehen lässt. Ist so ’ne neue Technik. Man hat eventuelle Zeugen dann auf Film und kann sie den Aussagen zuordnen. Hat einfach eine von diesen Wegwerfkameras hervorgezaubert und losgelegt, der Typ. Ist wirklich schwer auf Draht.«
»Ja«, sagte Russ. »Hoffen wir, er geht nicht dahin, wo es eine bessere Bezahlung gibt.«
Lyle schnaubte. Sein inoffizieller Status als Detective war bei der Frühlingssitzung des Stadtrats endlich mit einer Beförderung belohnt worden, nachdem Russ den Magistratsmitgliedern vier Jahre in den Ohren gelegen hatte, einen entsprechenden Posten zu schaffen – zuerst vergeblich, aber schließlich wirkte das Argument, dass Lyle seinen Abschied nehmen werde, wenn man seine Erfahrung nicht honorierte. So war Lyle jetzt stellvertretender Chef einer Mannschaft von acht Vollzeit-und vier Teilzeitkräften. Er konnte sich das nur so erklären, dass die Stadträte meinten, sie bekämen wirklich etwas für ihr Geld, wenn sie zwei Posten mit ein und demselben Mann besetzten.
Sergeant Morin von der Spurensicherung der State Police öffnete seine Gerätebox und holte eine raffinierte Kameraausrüstung heraus. »War er schon dort drin?«, fragte Russ.
»Wir haben zusammen den unmittelbaren Umkreis der Leiche abgesucht. Nichts zu finden. Die Leute kamen schon scharenweise vom Fluss rauf, deshalb hab ich der Absperrung des Tatorts absoluten Vorrang gegeben.«
Russ nickte. »Richtig so. Unterhalten wir uns mal mit dem Typen, okay?« Er zog die Latexhandschuhe an, die er aus seinem Streifenwagen mitgebracht hatte.
»Er wurde direkt hier ermordet und dann in dieses Ding da gelegt, wie zur Aufbahrung«, sagte Lyle, während er einen nassen Sumachzweig zur Seite hielt. »Verdammt viel Blut überall – auf dem Boden, auf dem Becken, im Wasser.«
Russ trat vorsichtig in Lyles Fußspuren. Als sie zu den blutigen Überresten im Trog gelangten, biss er die Zähne zusammen und hielt die Luft an. »Mein Gott. Sie haben wirklich nicht übertrieben.« Er sank langsam in die Hocke, damit seine Kleidung nicht irgendwo an den Pflanzen hängen blieb. »Das muss eine Drahtschlinge gewesen sein. Ich glaube, mit einem Messer wäre das unmöglich.«
»War auch mein erster Gedanke. Wenn ja, dann macht es die Sache schwieriger. Keine Einschnitte, die man einem Messer zuordnen könnte. Man nimmt einfach ein Stück Draht, wäscht es und spult es wieder auf. Wer soll daran was feststellen?«
Russ stand auf. Der metallische Blutgeruch war so stark, dass ihm die Augen tränten. »Ja, aber mit einer Würgeschlinge muss man nah rankommen. Sehr nah. Wer immer das hier getan hat, muss über und über voll Blut sein.« Er sah zu Lyle. »Irgendwelche Zeugenbeobachtungen?«
»Bisher nicht. Aber die Tat selbst liegt erst kurze Zeit zurück. Vieles hier ist immer noch feucht.«
»Ich werde Emils Gutachten abwarten, aber ich muss –« Russ stockte. Er kam sich vor wie ein Trottel. »Ich meine, nicht Emils Gutachten, sondern …«
»Dr. Scheeler springt als Pathologe ein. Wir haben ihn vom Krankenhaus in Glens Falls ausgeliehen.«
»Bis Emil wieder da ist.«
»Richtig. Bis er wieder da ist.« Lyle lächelte schwach.
»Hey, Jungs«, rief Sergeant Morin durch das dichte Laub. »Geht mal bitte ein Stück beiseite, damit ich meine Aufnahmen machen kann.« Vorsichtig, um die Pflanzen möglichst wenig zu bewegen, wichen Russ und Lyle zurück. »Danke«, sagte Morin, während er in das Blattwerk verschwand.
»Okay. Wer hat ihn gefunden?«
Lyle fuhr sich mit einer Hand über seinen Bürstenschnitt und nickte in Richtung einer Baumgruppe
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