Die Rote Spur Des Zorns
grinste. »Ja, ich habe schon gehört, das kann recht knifflig sein. Wollen Sie wirklich nicht –«
»Mein Gott, nicht zu fassen! Er hat seinen Geschwindigkeitsrekord gebrochen.« Peggy fasste Clare am Arm und zog sie hinter sich durch die Kirchentür. Der Schritt aus dem mächtigen Steingemäuer in den Sonnenschein war wie die Entlassung aus einem Gefangenenverlies, aus der Düsternis ins Licht, aus der Kühle in die Wärme, aus der Stille ins blühende Leben. Clare machte unwillkürlich die Augen zu und hielt ihr Gesicht einen Moment in die Sonne, ehe sie das altertümliche Eisenschloss hinter sich absperrte. Dabei hörte sie, wie Peggy über den Rasen und zum Parkplatz auf der anderen Seite der Elm Street marschierte. Sie ließ die Schlüssel in ihre Hosentasche fallen und trottete zu der Stelle hinüber, wo eine Volvo-Limousine stand.
»Keine Sorge, ich werde dich nicht den ganzen Tag in Beschlag nehmen«, sagte Peggy gerade zu ihrem Fahrer und wandte sich dann zu Clare um. »Vielen Dank, Reverend Fergusson. Hören Sie, wegen dieses Traugesprächs: Freitagabend um halb acht gebe ich für Diana und Cary eine Party. Kommen Sie doch auch. Wenn Sie früh dran sind, dann verspreche ich Ihnen, ich sperre das glückliche Brautpaar mit Ihnen ins Arbeitszimmer und Sie können es sich vorknöpfen.« Ihr Blick wanderte über Clares Outfit. »Es ist Abendkleidung angesagt. Oh, darf ich Ihnen meinen Neffen vorstellen? Mal, steig doch mal aus und begrüße sie.«
Der junge Mann, der unwillig hinter dem Lenker hervorkam, hätte den Seiten eines Hochglanzmagazins entsprungen sein können. Er sah fabelhaft aus – war schlank, hatte volle Lippen und die strahlenden Augen eines Models. Sein schwarz glänzendes Haar, das häufige und kostspielige Pflege vermuten ließ, fiel mit kunstvoller Zerzaustheit, und sein Bartschatten war eher ein modisches Statement als eine versäumte Rasur.
»Malcolm, das hier ist Clare Fergusson, die Dianas Trauung vornehmen wird. Clare, Malcolm Wintour.«
Bei näherem Hinsehen bemerkte Clare, dass er gar nicht so jung war, wie es zuerst aussah. Verräterische Fältchen umgaben die Augen, deren Pupillen extrem geweitet waren, als hätte diese exotische Treibhausblüte irgendein Aufputschmittel genommen, bevor sie ihren Geschwindigkeitsrekord brach. Malcolm senkte den Blick wie ein schüchterner Schuljunge und murmelte etwas, das nach »Freut mich« klang.
»Ich fürchte, wir müssen los. Komm, Mal! Es gibt jede Menge Adressen abzuklappern, bevor ich dich entlassen kann.« Er rutschte wieder hinter den Lenker und lehnte sich zu der Beifahrertür, um sie für seine Tante zu entriegeln.
Clare biss sich frustriert auf die Unterlippe. Da hatten sie über Hochzeit und Bauprojekte geredet, und jetzt fuhr Peggy ab, ohne dass Clare auch nur eine Spur mehr über Bill Ingraham wusste als vorhin auf der Treppe vor dem Pfarrhaus. Hochzeit. Bauprojekte. Das Bauprojekt.
»Peggy, ich würde mir zu gerne einmal die Baustelle anschauen.«
Peggy war gerade beim Einsteigen. Sie hielt abrupt inne. »Was?«
»Die Baustelle. Für die neue Freizeitanlage. Ich würde zu gern einmal hinfahren und sie mir anschauen. Man redet so viel darüber, pro und kontra; es würde mich wirklich interessieren, einmal mit eigenen Augen zu sehen, worum es geht – mir ein Bild zu machen, was für Arbeitsplätze dort entstehen. Damit ich meine Gemeinde informieren kann.« Sie errötete leicht über diesen Stegreif-Schwindel. Jetzt wäre sie sogar gezwungen, eine Sonntagspredigt über das Thema zu schreiben.
Peggy runzelte die Stirn. »Das ist nicht viel mehr als ein Haufen grob planierter Wege, Gruben, Schlaglöcher und Schuttberge, Reverend Fergusson. Ich glaube nicht, dass Sie im jetzigen Stadium viel erkennen könnten.«
»Bitte.« Sie imitierte den bettelnden Tonfall ihrer Mutter: süß wie Sirup auf zerstoßenem Eis. »Es würde mir viel bedeuten.«
Peggy Landry machte eine halb verständnislose, halb kapitulierende Geste. »Gut. Von mir aus. Wann?«
»Heute? Es ist mein freier Tag, und ich habe nichts vor.«
Peggy sah auf ihre schmale Armbanduhr. »Ich brauche mindestens drei Stunden für den Zeltverleih, den Kunstgewerbeladen und die Beleuchtungsfirma. Danach muss ich etwas zu Mittag essen … Sagen wir, um drei? So dürfte ich genug Zeit haben.«
»Drei Uhr. Abgemacht.«
»Finden Sie denn allein hin?«
»Ja, ja«, versicherte Clare. »Ich fahre einfach der Straße nach, bis ich in so eine Grube falle.«
13
D ie
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