Die Rote Spur Des Zorns
Sie sich keine Sorgen, dass eine Neuuntersuchung zu einem Baustopp führen könnte, zumindest solange die Umweltbehörde dort herumstochert? Mr. Ingraham sagte doch« – der Name beschwor vor ihrem geistigen Auge das Bild herauf, das sich ihr im Gebüsch geboten hatte, und einen Moment stockte ihr der Atem – »er sagte, er werde sich von dem Projekt zurückziehen, falls man die Umweltbehörde einschaltet.«
»John Opperman und ich sind uns einig, dass das nicht nötig wäre. Wir hätten unstreitig das Recht, die Bauarbeiten mit voller Kraft fortzusetzen; das bedeutet, ein Großteil der Anlage würde schon fertig sein, bevor auch nur die ersten Messungen vorlägen. Und einen Zahn zulegen müssen wir sowieso, damit alle Außenarbeiten vor dem Winter abgeschlossen sind.« Sie schien einen Moment geistesabwesend und griff nach ihrem Handtäschchen. »Da fällt mir ein, ich habe mit John zu reden.« Sie zog ein Handy hervor. »Wenn Sie entschuldigen, Reverend Fergusson?«
Belustigung gewann die Oberhand über Verblüfftheit, als diese Frau Clare doch tatsächlich bat, sich aus ihrem eigenen Kirchgestühl zu entfernen, damit die andere es als Büro benutzen könnte. Clare schlenderte zu dem mächtigen, offen stehenden Portal, durch das ein warmer Wind, Rosenduft und der schwache Lärm von Kindern hereindrang, die in dem Pavillon auf der anderen Straßenseite spielten. Es schien seltsam, an einem so herrlichen Hochsommertag für den Winter zu planen. Und ebenso seltsam schien es, inmitten solcher Fülle von Leben an den Tod zu denken. Die alten Worte aus dem Text des Sterbegottesdienstes fielen ihr ein, auch wenn sie die fatalistische Sichtweise nie gemocht hatte: »Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen.«
Hinter ihr waren Diana und Lin-bai Tang wieder in den Mittelgang gekommen, wo sie ihre Ideen für Zweige, Bänder und Kerzenleuchter verkündeten. Man hörte das Zischen und Klicken von Tangs Maßband. Wenn der Rest der Feier nur halbwegs den Dimensionen des Blumendekors entsprach, dann würde das eine Jahrhunderthochzeit. Peggy Landrys Schwager musste in Geld schwimmen, oder die Hochzeit trieb ihn in den Ruin. Wie viel Peggy wohl in das Bauprojekt gesteckt hatte? Wäre sie bankrott, wenn das Geschäft platzte?, fragte sich Clare. Und was würde dann aus den Bauarbeitern und allen anderen, die davon abhingen? Sie schüttelte den Kopf. All das war reine, aus der Luft gegriffene Spekulation. Vielleicht würde Ingrahams Partner ja einfach allein weitermachen. Was natürlich die Frage nach sich zog, ob wirklich die Baustelle im alten Steinbruch für die erhöhten PCB-Werte verantwortlich war.
Da kam Clare plötzlich ein Gedanke. Wenn jemand, der das Bauprojekt stoppen wollte, wusste, dass Peggy Landry und ihr Partner die Absicht hatten, es auf jeden Fall durchzuziehen? Würde der Tod des Firmenchefs dann die Sache verlangsamen? So weit, dass die Umweltbehörde ihre Bedenken erheben und den Boden noch einmal untersuchen könnte? Clare griff nach ihrem Pferdeschwanz und drehte ihn zu einem Knoten, während sich ihre Gedanken überschlugen. Hätte sie doch nur die unternehmerische Seite der kleinen Flugzeugfabrik ihrer Eltern mehr beachtet! Dann wüsste sie vielleicht, was geschah, wenn einer der Teilhaber verstarb.
»Reverend Clare? Alles okay mit Ihnen?« Diana Berrys Stimme störte ihre Gedanken und Clare ließ den Haarknoten los. »Sie wirken ein bisschen verstört«, meinte Diana.
»Danke, es geht schon. Ich habe bloß nachgedacht.« Die Floristin, die neben der jungen Frau stand, steckte das Maßband wieder in ihr Handtäschchen. Clare sah kurz zu Peggy Landry, die gerade nickte, einen Arm hob und dann etwas in ihr Handy sprach.
»Alles erledigt?«, fragte Clare. »Haben Sie, was Sie brauchen?«
»Ja, danke«, antwortete Lin-bai Tang. »Das wird eine wahre Freude, hier in Ihrer Kirche zu arbeiten.«
Peggy Landry beendete ihr Telefonat und verstaute das Handy wieder in ihrer Handtasche. Dann stand sie auf und kam zu ihnen herüber. »Entschuldigung allerseits. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.«
Diana grinste. »Dein Vergnügen ist doch die Arbeit, Tante Peggy. Es erstaunt mich sowieso, dass du dich heute losreißen konntest.«
»Ich muss mich ranhalten«, sagte die Floristin mit einem Blick auf ihre Uhr. »Diana, ich werde einen Entwurf machen und ihn Ihnen samt einem Kostenvoranschlag zufaxen.« Sie streckte Clare ihre Hand hin. »Nochmals vielen Dank, dass Sie uns so kurzfristig empfangen haben,
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