Die Rote Spur Des Zorns
die Zufahrtsstraße hinab.
»Der hat’s aber eilig«, sagte sie, während sie die Staubwolke von ihrem Gesicht wegwedelte.
»Na ja … also nach meiner Beobachtung braucht Mr. Opperman nur zu sagen: ›Spring‹, dann fragt Leo Waxman: ›Wie hoch?‹ Erinnern Sie sich, was er über all diese gewinnträchtigen Jobs in der Privatwirtschaft erzählt hat? Ich glaube, der hofft, dass BWI ihn fest anstellt.«
Clare reichte Ray ihren Helm und wischte sich den Staub von der Bluse. »Möglich, dass ich in solchen Dingen naiv bin, aber gibt das keinen Interessenkonflikt?«
Lächelnd stapelte Ray ihren Helm auf seinen. »Sieht irgendwie danach aus, nicht?« Er klemmte die Helme unter seinen Arm und wandte sich dem Wohnwagen zu, der als Büro für die Bauleitung diente. Die Mannschaft hatte ihre Stellung davor geräumt, um sich an zwei Picknicktische am Rand der Bäume zurückzuziehen. Clare entdeckte ein paar Kühlboxen.
»Ich fürchte, mehr gibt’s nicht zu sehen, Reverend. Tut mir leid, dass Ms. Landry nicht aufgekreuzt ist. Sie können sie vom Büro aus anrufen, wenn Sie wollen.«
Clare schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe ihre Handynummer nicht.« Ihr Gehirn arbeitete wie wild. Das war jetzt ihre letzte Chance, irgendetwas über Bill Ingraham zu erfahren. Okay, Ladys, jetzt heißt es: Flieg oder stirb, hatte Sergeant Ashley »Hardball« Wright während des Überlebenstrainings immer gesagt. Egal ob Männlein oder Weiblein, er nannte alle seine Rekruten »Ladys« – und das war noch das Netteste. Clare hatte die Neigung, sich an seine Sprüche zu entsinnen in Situationen, in die ihre Großmutter nie geraten wäre – zum Beispiel jetzt, wo es darum ging, Ray Yardhaas mehr Informationen über jemanden aus der Nase zu ziehen, von dessen Tod er noch nichts wusste.
»Ich möchte Sie etwas fragen.« Clare legte sich gegen die Sonne eine Hand über die Augen, als sie zu ihm aufblickte. »Anscheinend halten Sie große Stücke auf Bill Ingraham. Gilt das auch für den Rest der Mannschaft?«
Ray klemmte die beiden Helme unter den anderen Arm. »Im Prinzip wohl schon. Es gibt ja immer ein paar, die in der Firmenleitung nur den bösen Feind sehen. Aber die Neulinge hier, die verdienen vierzehn Dollar die Stunde, und die Älteren bis zu zwanzig; deshalb haben die meisten kein Problem damit, dass der Boss seinen Teil absahnt. Ich meine: Wer will, dass jeder das Gleiche verdient, der soll doch ab nach Kuba.«
»Eigentlich dachte ich mehr an sein … Privatleben.« Clare rieb sich mit ihrem Handballen eine Schweißspur von der Stirn. »Hat irgendjemand Probleme damit, dass Mr. Ingraham, äh, Sie wissen schon …«
Ray runzelte die Stirn. »Wieso?«
»Nun ja, weil heterosexuelle Männer manchmal nicht allzu freundlich darauf reagieren, wenn jemand –«
»Nein, ich meine, wieso interessiert Sie das? Sie gehören doch nicht zu diesen Predigern, die überall verkünden: ›Gott hasst Schwule‹ und so?«
Clare prallte zurück. »Liebe Güte, nein!« Sie wischte sich instinktiv die Hände an ihrer Jeans ab. »So etwas ist … eine perverse Verdrehung der Botschaft. Nein, ganz im Gegenteil. Ich versuche dahinter zu kommen, wer hier in der Gegend diese Art Hass propagieren könnte. Ich weiß nicht, ob Sie die Nachrichtensendungen verfolgen, aber es gab kürzlich zwei Überfälle in Millers Kill. Rechtschaffene Männer, die halb totgeschlagen wurden, nur weil sie schwul sind.« Sie verbesserte sich schnell. »Wenigstens ist das die wahrscheinlichste Erklärung. Ich möchte begreifen, woher dieser blinde Schwulenhass kommt, und als Pastorin mein Möglichstes tun, um ihn zu beenden.« Bill Ingrahams blutige, entstellte Leiche erschien vor ihrem inneren Auge, und einen Moment blieben ihr die Worte im Hals stecken. Zu wenig, zu spät, dachte sie und holte tief Luft. »Ich kann ja nicht in die nächstbeste Billardhalle reinspazieren und sagen: ›Hey, Jungs, jetzt mal ehrlich! Was haltet ihr von Schwulen?‹«
Ray schnaubte.
Sie legte ihren Kopf schief in Richtung der Picknicktische am Rand der Baustelle.
Der Kerl im Desiderata-Shirt hatte eine der Kühlboxen geöffnet und verteilte Dosen. Anscheinend war jetzt die Zeit für ein Bier. »Da sind einerseits sie hier, alles ›männliche‹ Männer, die einen ›männlichen‹ Beruf ausüben, und auf der anderen Seite Ihr Boss, der offen schwul lebt. Was denken Ihre Kollegen darüber? Gab das schon einmal Probleme?«
»Sie meinen, vielleicht hätte einer aus der Belegschaft mit
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