Die Rote Spur Des Zorns
Dessaints Wohnwagen auf dem Gelände der Lyon’s Gate Mobil Home Estates zu finden war kein Problem. Es war auch kein Problem, sich Zutritt zu verschaffen. Aus der Flucht von McKinley klüger geworden, drangen Russ und Paul durch die winzige Eingangstür, während Dave mit gezogener Waffe auf der Rückseite Wache stand. Und genauso wenig gab es ein Problem mit einem Verdächtigen, der Widerstand leistete. Es gab gar keinen Verdächtigen. Dessaint war ausgeflogen.
19
C lare war nicht überrascht, als das Telefon in ihrem Büro Punkt neun Uhr klingelte. Sie kniete gerade auf dem Schreibtisch und kämpfte mit einem widerspenstigen Fenster. Das Ding musste einfach aufgehen; Mr. Hadley, der Küster, hatte einen der Doppelfensterrahmen aus den vierziger Jahren entfernt und stattdessen Fliegengitter davorgehängt, denn als Clare nach einer Klimaanlage fragte, hatte er sie angesehen, als verlangte sie einen Whirlpool für ihr Badezimmer. »Rausgeschmissenes Geld«, war sein einziger Kommentar, und dann fügte er hinzu: »Wird schon nicht so heiß werden, dass ein offenes Fenster und ein Ventilator nicht helfen.«
Nun, im Endeffekt hatte sie ihm Recht geben müssen. Bis letzte Woche. So lange war der Juni angenehm mild gewesen, und man konnte die schmalen Flügel am unteren Ende der Bleiglasfenster mit ihren rautenförmigen Scheiben einfach aufstoßen, um ein bisschen frische Luft reinzulassen. Aber nach dem trüben Feiertag war der Juli hereingebrochen wie Sherman über Florida, und heute früh auf dem Weg zur Kirche hatte Clare bereits gefühlt, wie die Hitze vom Pflaster unter ihren Füßen aufstieg. Ihr sonniges Büro würde ein Backofen, wenn es ihr nicht gelänge, etwas Durchzug zu schaffen.
Unglücklicherweise sah es so aus, als hätten Hitze und Luftfeuchtigkeit das Fenster bereits quellen lassen, und während sie auf den losen Papieren herumrutschte, schob Clare die Hände unter den Fensterrahmen. Nichts.
Die Sprechanlage summte. »Reverend?« Lois war es heute Morgen noch nicht zu heiß. Das war es anscheinend nie, genauso wenig, wie sie je zerknittert oder ungekämmt aussah. Irgendwie schaffte sie es, bei zwei energisch blasenden Ventilatoren im Pfarrbüro zu sitzen, ohne dass sich auch nur eine Strähne ihrer tadellosen Ponyfrisur regte. »Robert Corlew ist in der Leitung.«
Corlew hatte zu Jahresbeginn den Vorsitz im Pfarrgemeinderat übernommen, nachdem Vaughn Fowler … für immer abgetreten war. Bei dieser Gelegenheit hatten die Gemeinderatsmitglieder beschlossen, den traditionellen Titel »Kirchenältester« wieder einzuführen, vielleicht um den Gemeinschaftsgedanken stärker hervorzuheben, denn Colonel Fowler hatte mehr die Art eines Alexander Haig im Krisenfall besessen.
Stöhnend versuchte Clare noch einmal, das Fenster hochzuschieben. »Was will er denn? Und könnten Sie Mr. Hadley rufen, damit er dieses verflixte Fenster aufmacht?«
»Vielleicht kann das ja auch Mr. Corlew erledigen. Klingt, als wäre er in der richtigen Stimmung, ein Fenster samt Rahmen rauszureißen.«
Clare hockte sich auf den Tisch. »Er hat die Zeitung gelesen.«
»Er hat die Zeitung gelesen.« Nachdem Bill Ingraham in den Montagabendnachrichten mehr oder weniger geoutet worden war, hatte der Post-Star die Story aufgegriffen und gestern einen Artikel über Ingrahams Tod sowie die Auswirkungen gebracht, die der Vorfall auf das geplante Erholungszentrum haben könnte. Am heutigen Mittwoch erschien ein groß angelegter Bericht, der einen Zusammenhang zwischen dem Mord und den Überfällen auf Dvorak und MacPherson herstellte, angereichert mit Kommentaren von Seiten einiger Schwulenverbände. Auch Clares Name und der von St. Alban’s waren jedes Mal erwähnt worden. Lois hatte die Artikel bereits für das Sammelalbum der Pfarrei ausgeschnitten. »Das ist doch mal etwas anderes als diese Berichte über die Teestunde der Sankt-Martha-Gruppe oder die Wohltätigkeitsbasare«, meinte sie.
Clare kletterte von ihrem Schreibtisch. »Stellen Sie ihn durch«, sagte sie mit dem Enthusiasmus eines Frühchristen, der um den Einlass der Löwen bittet.
»Überschlagen Sie sich bloß nicht vor Begeisterung«, sagte Lois, ehe sie umschaltete und Robert Corlew in der Leitung war.
»Reverend Clare?«
»Guten Morgen, Robert. Wie schön, von Ihnen zu hören. Ich glaube, seit dem Heldengedenktag haben wir uns nur ein Mal beim Gottesdienst gesehen. Sie fehlen mir regelrecht.«
Clare grinste in sich hinein. Vielleicht könnte sie ihm den Wind
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