Die Rote Spur Des Zorns
Theologie machen oder innerhalb der Kirche zu einem Rang aufsteigen, der ihr einen passenden, geschlechtsneutralen Titel einbrachte. Bischof Fergusson …
»Heißt es an dieser Stelle nicht immer: ›Sie fragen sich bestimmt, warum ich Sie alle hierher gebeten habe‹?«, sagte Sterling Sumner. Das Beiwort, das Clare – in den Tiefen ihres Hinterkopfs – Sterling für gewöhnlich verlieh, war: »Unangenehm«. Auf Pfarrgemeinderatssitzungen zeigte sich der Architekt ungeduldig und neigte dazu, die Meinung anderer als Ignoranz abzutun. Heute trug sein Gesicht einen verkniffenen Ausdruck, der auf ein Reizdarmsyndrom deutete.
Robert Corlew schaltete sich ein, bevor sie etwas antworten konnte. »Ich denke, wir alle wissen, welches Thema uns zusammenführt. Lassen Sie mich versuchen, es kurz zu skizzieren. Wir hatten diesen Sommer ein paar sehr bedauerliche Gewalttaten in der Gegend von Millers Kill.«
Clare machte den Mund auf, um zu entgegnen, ein blutiger Mord sei ein klein bisschen mehr als eine bedauerliche Gewalttat, aber sie besann sich eines Besseren.
»Wie es scheint, könnte ein Zusammenhang zwischen diesen Gewalttaten und dem Lebensstil der Opfer bestehen. Oder anders gesagt: Alle Opfer waren homosexuell. Reverend Clare gab der Presse gegenüber eine Stellungnahme ab, in der sie ihrer Meinung und ihren Gefühlen dazu Ausdruck verlieh. Sicher hat das jeder von Ihnen gelesen. Wenn ich richtig verstehe, wünscht der Reverend, dass auch die Pfarrgemeinde St. Alban’s in irgendeiner aktiven Form Stellung bezieht.« Corlew nahm so unvermittelt wieder Platz, dass Clare ein wenig von ihrer Bank aufschrak. Sie hatte damit gerechnet, dass er seine eigenen Wünsche kundtun würde.
Alle Augen richteten sich auf sie.
Clare spürte einen hitzigen Drang zu reagieren. Und ihren Verdruss, sich mit diesen Leuten herumschlagen zu müssen. Die Situation durfte ihr keinesfalls entgleiten.
Nicht »diese« Leute – »meine« Leute, sagte eine innere Stimme. Ihre eigene? Sie war sich nicht sicher. Aber sie wusste, was sie zu tun hatte. Sie stellte ihr Glas in eine der Vertiefungen neben der Bank, die als Getränkehalter dienten.
»Wollen wir vielleicht mit einem Gebet beginnen?«, sagte sie. Corlew schaute zuerst überrascht drein, dann nickte er. Sie beobachtete, wie jeder von ihnen sich sammelte. Mrs. Marshall faltete die Hände unter dem Kinn. Sterling senkte seinen Kopf und bedeckte sein Gesicht mit fünf gespreizten Fingern. Corlew, der immer noch hinter dem Steuer saß, bog seinen Kopf in den Nacken, sodass er durch seine halb geschlossenen Augen weiterhin etwas sehen konnte. Terry Wright verschränkte seine Finger und ließ sie im Schoß ruhen. Wenn sie sie doch alle vereinen könnte, betend und Hände haltend!, dachte Clare einen Moment; aber es waren Mitglieder der Episkopalkirche, und mit Händehalten würde ihnen nur noch unbehaglicher werden. In ihrer Kirche regelte man die Dinge anders.
»Gott unser Herr«, begann sie, »wenn wir etwas über dich wissen, dann, dass du Boote liebst. Du hast dir Fischer als Gefährten gewählt und bist über das Wasser zu ihnen gegangen, um ihre Zweifel und Ängste zu stillen. Sei du heute unser Begleiter in diesem Boot, o Herr, und hilf uns, uns zu erinnern, dass wir trotz aller Meinungsgegensätze deine Apostel sind. Im Namen Jesu. Amen.«
Die anderen wiederholten das »Amen«, und es entstand ein Moment, in dem jeder von ihnen auf die straff geblähten Segel, die Sonne und die Wellen blickte. Dann sagte Clare: »Was ich denke, ist Folgendes: Ich glaube aus vollstem Herzen, dass wir eine Verpflichtung haben, gegen Hass und Gewalt einzutreten; ich glaube, wir können solche Taten nicht ansehen, ohne zu sagen: ›Das ist nicht recht.‹«
»Dass es nicht recht ist, bezweifelt ja auch niemand«, entgegnete Terry auf seine milde, besonnene Art. »Diese Übergriffe waren grauenhaft, und man versucht die Täter mit allen verfügbaren Mitteln zu fassen. Das geht eindeutig aus den Zeitungsberichten hervor. Was können wir da noch tun?«
»Ingrahams Ermordung folgten ja auch keine schwulenfeindlichen Hetzartikel«, sagte Corlew. »Und ich kann aus persönlicher Erfahrung bezeugen, dass niemand, den ich im Lauf der letzten Woche traf, etwas geäußert hat wie: ›Recht so! Jetzt kriegen sie ihr Fett!‹«
»Mein Standpunkt ist schlicht und einfach«, erklärte Sterling Sumner. »Ich möchte den Namen von St. Alban’s nicht wieder in den Schmutz gezogen sehen. Nach dem Debakel von
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