Die Rote Spur Des Zorns
letztem Winter sage ich: Wir sollten unsere Finger aus allen anrüchigen Dingen heraushalten. Die Leute werden unseren Namen sonst nur mit Verbrechen und Homosexualität verbinden. Halten wir uns heraus, dann bringt das unserer Gemeinde Busse voller Neuinteressenten. Und Sie erinnern sich doch, dass wir die Mitgliederzahl steigern wollten, nicht wahr?«
»Wir haben seit meinem Amtsantritt drei neue Familien in der Pfarrei«, entgegnete Clare.
Er schniefte. »Das ist schon mal ein Anfang …«
»Ich bin noch nicht einmal ein Jahr hier!«
»Beruhigen Sie sich, Reverend Clare. Kein Mensch zweifelt an Ihrer Tüchtigkeit. – Steigen Sie doch bitte mal auf die Bank, ja?« Corlew drehte leicht das Steuerrad und gab dem Klüver mehrere Zentimeter Leine. Das Schiff reagierte, indem es sich leewärts neigte, und Clare und Terry stiegen auf die Außenkante des Cockpits, gegen die Schlagseite des Bootes gelehnt.
»Sterling berührt da einen sehr wichtigen Punkt«, bekräftigte Mrs. Marshall, an ihrem Gin Tonic nippend. »Was sagen Sie dazu, Ms. Fergusson?«
»Ich glaube nicht, dass irgendwer unsere Sorge um Verbrechensopfer als Nähe zum Verbrechen missversteht, genauso wenig wie unser Betreuungsprogramm für minderjährige Mütter als Zustimmung zu unehelichen Schwangerschaften verstanden wird.«
»Auch so eine Idee, die ich ablehne«, sagte Sterling.
Clare überhörte diese Bemerkung. »Und was die Leute betrifft, die uns wegen unserer Nähe zu Homosexuellen meiden würden« – sie wackelte mit den Augenbrauen, weil das lächerlich nach Joseph McCarthy klang – »so sage ich, solche Mitglieder brauchen wir nicht. Wir brauchen Menschen, die es bewundern, dass wir Stellung beziehen, und die sagen: ›Jawohl, das ist Christentum; so will ich mein Christentum leben, und so soll die Kirche sein, der ich angehöre.‹«
»Was schwebt Ihnen also vor, Liebes?«
Clare verbiss sich ein Lächeln. Die herzliche Anrede war Mrs. Marshall wohl eher herausgerutscht, aber es war reizend. Sie musste gestehen, wenn die achtzigjährige Dame sie wie ein kleines Mädchen behandelte, dann machte ihr das nicht so viel aus; den Männern mussten sie Zucht und Ordnung beibringen.
»Nichts, was die Leute verletzen oder vor den Kopf stoßen würde. Aber etwas, das Aufmerksamkeit erregt. Etwas, wodurch wir unseren Einsatz für den Nächsten sichtbar machen.«
»Wie wär’s mit einer Annonce im Post-Star , so eine achtel Seite groß?«, fragte Sumner.
Sie sah ihm ins Gesicht. »Sterling, was würden Sie tun, um Ihrer Stadtgemeinde mitzuteilen, dass jeder, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung, willkommen und anerkannt ist?«
»Ha!« Sumner ruckte an einem Ende seines Schals. »Offen gestanden, ist nicht jeder willkommen und anerkannt. Ob aufgrund seiner so genannten sexuellen Orientierung oder einfach, weil er ein Ignorant ist.« Mrs. Marshall murmelte eine Rüge. »Ich kann nicht anders, Lacey«, fuhr Sumner fort. »Es geht mir nun einmal gegen den Strich. Diese Typen, die überall rumlaufen und ganz nach Lust und Laune alles tun, ohne Scham oder ein Gefühl für Anstand –«
»Ich glaube, genau das ist der springende Punkt«, unterbrach Mrs. Marshall und legte Sumner eine Hand auf den Arm. »Dass diese Menschen leben können, ohne Angst haben zu müssen, sie würden zu Aussätzigen, wenn einem etwas herausrutscht oder wenn sie zur falschen Zeit am falschen Ort gesehen werden.«
Sie weiß Bescheid, war Clares erster Gedanke. Und dann wurde ihr klar, dass diese beiden etwas sehr Altes verband – alt, begraben, aber nicht vergessen –, und sie schämte sich plötzlich für ihren Versuch, Sumner in eine Ecke abzudrängen.
Mit einer Miene, in der Unbehagen und Entschlossenheit schnell wechselten, sah Corlew zu Terry Wright. »Wir wollen auch niemanden zum Aussätzigen abstempeln. Wir achten nur auf unsere Interessen.« Clare setzte zum Sprechen an, doch Corlew hob rasch die Hand und winkte ab. »Schon gut, tut mir leid. Ich meine das nicht so, wie es sich anhört.«
»Meine Herrschaften, ich glaube, Clare hat Recht.« Terrys Stimme klang wie immer locker und leutselig – der Ton des Bankmanns beim Geschäftsabschluss. »Wahrscheinlich hätten wir das links liegen lassen können, aber da unsere, äh, energische junge Pastorin es nun mal auf den Tisch gebracht hat, werden wir nicht tatenlos bleiben können. Sei es auch nur deshalb, weil wir uns sonst wie ein Haufen spießiger Frömmler fühlen würden.«
Sumner machte ein
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