Die roten Blüten der Sehnsucht
mit Vicky reden.
Im Flur wartete ein mürrisch dreinblickender Robert. » Weißt du, wo sie ist?«
Er nickte bloß, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte los. Vor der Tür zur Wäschekammer blieb er stehen. Er räusperte sich laut, ehe er sie vorsichtig öffnete. Das Mädchen hockte zusammengekauert im hintersten Winkel zwischen den Körben mit der Schmutzwäsche und starrte ihnen halb trotzig, halb ängstlich entgegen.
» Vicky, was machst du da?« Dorothea schüttelte verständnislos den Kopf. » Wieso versteckst du dich hier?«
Vicky stieß nur ein leises Wimmern aus.
Es war Robert, der ihr antwortete: » Sie hat Angst, dass du sie schlägst«, sagte er leise.
Dorothea fixierte ihn argwöhnisch. Nein, er scherzte nicht. » Warum sollte ich das tun?«
Robert und Vicky tauschten einen Blick. » Bei ihnen wird man mit einem waddie auf den Kopf geschlagen, wenn man schlimme Sachen macht«, erklärte ihr Sohn schließlich. » Bis es blutet.«
Dorothea erinnerte sich blitzartig, dass Jane etwas Ähnliches erzählt hatte. Ja, sie hatte ihr damals sogar die Narben in ihrem dichten Kraushaar gezeigt. In King Georges Lager war sie niemals Augenzeugin dieser grausamen Praxis geworden, aber das besagte wenig. Der gerissene Häuptling hatte es verstanden, die empfindsamen Engländer nur das sehen zu lassen, was sie sehen sollten. Eine Klage beim Protector über Misshandlungen konnte schließlich dazu führen, dass die Administration verfügte, dass die Kinder in Poonindie besser aufgehoben waren.
» Ich habe nicht die geringste Absicht, dich zu schlagen«, sagte sie ruhig. » Und schon gar nicht mit einem Holzknüppel. So etwas gibt es bei uns nicht. Hab keine Angst, Vicky. Ich will nur mit dir reden.« Um sie nicht noch mehr zu verschrecken, rührte sie sich nicht von der Stelle, sondern wartete, bis das Kind zögernd aus seinem Zufluchtsort gekrochen war und mit gesenktem Kopf in einiger Entfernung von ihr stehen blieb.
» Was habe ich falsch gemacht?«, fragte sie leise. » Dürfen die Kleinen hier keine bogongs essen? Sind sie für sie verboten?«
» Wir essen überhaupt keine bogongs. Die Kinder nicht und die Erwachsenen auch nicht«, sagte Dorothea freundlich, aber bestimmt. » Du hast es sicher gut gemeint, aber Weiße vertragen manche Speisen der Schwarzen nicht.«
Vicky betrachtete zweifelnd ihre mageren, gebräunten Handgelenke. » Meine Mutter hat mir immer bogongs gegeben, wenn sie welche fand. Ich bin nie krank davon geworden. Bin ich dann nicht richtig weiß?«
» Doch, das bist du. In einigen Wochen wird deine Haut wieder so weiß wie unsere sein.«
» Werde ich dann keine bogongs mehr essen können?«
Es fiel Dorothea schwer, das Bedauern in Vickys Ton nachzuempfinden. Wie konnte jemand freiwillig dieses eklige Gewürm essen wollen? Etwas hilflos suchte sie noch nach einer Antwort, als sich überraschend Robert einmischte.
» Doch, du könntest es natürlich noch. Aber meine Mutter meint, sie möchte nicht, dass du es tust.«
Vicky seufzte schwer. » Und wenn ich auf einmal Hunger habe? Dann auch nicht?«
» Dann gehst du in die Küche zu Mrs. Perkins und bittest sie um ein Honigbrot oder sonst etwas«, sagte Dorothea abschließend. » Und jetzt hinaus mit euch. Die Körbe sind voll, ich muss die Listen für die Wäscherin schreiben.«
Während sie Laken, Kissenbezüge, Leibchen, Nachtkleider, Taschentücher und all die anderen Dinge zählte und auflistete, die außer Haus gegeben wurden, war sie nicht ganz bei der Sache. Was war in diesen letzten Monaten nur aus ihrem beschaulichen, etwas eintönigen Leben auf Eden House geworden? Und sie hatte geglaubt, ohne Heathers Eskapaden würde wieder Ruhe und Frieden einkehren!
Was für eine Fehleinschätzung: Catriona und Percy schienen überhaupt nicht mehr abreisen zu wollen, obwohl ihre ständige Anwesenheit allmählich zu Gereiztheit bei einigen Hausbewohnern führte. Was bezweckten sie mit ihrem Dauerbesuch? Sollte Lady Chatwicks vager Verdacht zutreffen und Percy hatte Schulden, die ihn aus England vertrieben hatten? Eden House war geräumig genug, um für seine ständigen Bewohner bequem zu sein. Zwei Dauergäste jedoch ließen seine Wände schrumpfen. Und jetzt noch Vicky.
Das Kind war völlig unzivilisiert. Eigentlich bräuchte es eine Gouvernante rund um die Uhr, die es anwies und korrigierte, um aus diesem Rohdiamanten eine echte englische Lady zu formen. Wo sollte sie die Zeit dafür hernehmen? Ob sie Catriona darum bitten
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