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Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Titel: Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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Fedor Kelling, wie er sich jetzt nannte, sah unglücklich und fast schon krank aus. Sein Bruder Carl dagegen wirkte, wie an seinen erregten Gesten zu erkennen war, eher verärgert. Kurz war Lina versucht, das Ohr an die Tür zu legen. Aber sie tat es nicht. Man lauschte nicht, das hatte ihr der Vater immer gesagt. Aber was ging dort bloß vor?
    »Komm schon, Lina, ich hab Hunger!« Rieke zog sie weiter.
    Die Unterkunft in den Baracken für die Neuankömmlinge unterschied sich auf den ersten Blick kaum vom Zwischendeck der Skjold . Auch hier waren viele Stockbetten aufgestellt, und hier türmten sich ebenfalls viele Gepäckstücke und Mobiliar in den Gängen und an fast jedem freien Fleckchen. Allerdings gab es mehr Platz als auf dem Schiff.
    Lina stellte ihre Reisetasche auf ein freies Bett, dann folgte sie Rieke in einen Nebenraum, aus dem Stimmengewirr, Kindergeschrei und das Klappern von Tellern drang. Dort waren lange Tischreihen und Bänke aufgestellt, an denen die meisten ihrer Mitreisenden bereits ein einfaches Mahl aus den Resten der Schiffsverpflegung zu sich nahmen. Auch Lina und Rieke setzten sich dazu.
    Viele waren ungeduldig und konnten es kaum abwarten, endlich zu erfahren, wie es nun weitergehen würde. Die Neuseeland-Compagnie würde die Auswanderer anstellen und ihnen Lohn zahlen, hatte man ihnen in Hamburg gesagt. Die Gespräche an den Tischen drehten sich stets um die gleichen Dinge: Sie alle wollten so schnell wie möglich ihre Schulden bei den Kellings zurückzahlen. Siebzehn englische Pfund hatte die Überfahrt für jeden Erwachsenen gekostet. Wie schnell man das wohl zusammenhatte? Und sobald die Schuld beglichen war, konnten die Auswanderer Land von der Compagnie erwerben. Ein faires Angebot, wie die meisten fanden.
    Auch Lina war unruhig, eine Mischung aus Vorfreude, Ungeduld und Bangigkeit ließ ihr Herz aufgeregt schlagen, während sie an einem trockenen Zwieback herumkaute. Was würde sie hier wohl erwarten? Welche Arbeit würde sie bekommen? Und worüber hatten die Männer im Büro geredet? Lina hatte noch immer ein ungutes Gefühl. Fedor Kelling hatte so unglücklich ausgesehen.
    Als die Kellings endlich den großen Speisesaal betraten, wurde es still. Nur ein kleines Kind schrie, wurde von seiner Mutter aber schnell beruhigt. Lina schluckte ihren letzten Bissen Zwieback hinunter.
    Mit den Kellings hatte ein großer, dicker Mann den Raum betreten. Über seinem gewaltigen Bauch spannte sich eine noch gewaltigere Weste. Er suchte in seiner Westentasche nach einem Tuch und wischte sich damit über das Gesicht.
    »Guten Tag«, sagte er dann. »Mein Name ist Hannes Seip. Ich bin Agent der Neuseeland-Compagnie hier in Nelson.«
    Alle sahen ihn in gespannter Erwartung an. Mr Seip hatte eine tiefe, recht angenehme Stimme, die aus einem Brustkorb wie ein Fass kam.
    Seip blickte sich suchend um, dann wedelte er kurz mit der Hand. Eines der Kinder, das auf einem Stuhl saß, sprang auf. Seip zog den Stuhl zu sich heran und setzte sich. Der Stuhl ächzte leicht unter seinem Gewicht. Lina warf einen besorgten Blick zu den Kellings, die stehen geblieben waren und zu Boden blickten.
    »Nun, meine Damen und Herren«, begann Seip. »Leider habe ich schlechte Nachrichten. Ich muss Sie davon in Kenntnis setzen, dass die Neuseeland-Compagnie nicht mehr über genug Mittel verfügt, Sie hier zu beschäftigen.«
    Für einen Moment war es totenstill, dann setzte erregter Widerspruch ein.
    »Das geht nicht! – Wir haben einen Vertrag mit der Compagnie! – Sie haben uns Land versprochen! – Sie haben uns Arbeit zugesagt!« So und ähnlich scholl es durch den Speiseraum.
    Lina stand wie erstarrt. Das konnte doch einfach nicht wahr sein! Dann fühlte sie sich am Ärmel gezupft.
    »Was heißt das?«, fragte Rieke neben ihr, in ihrem blassen Gesicht wirkten ihre Augen riesengroß.
    »Das bedeutet, dass wir hier nicht arbeiten können«, murmelte Lina.
    Sie ballte die Fäuste. Da waren sie um die halbe Welt gereist, hatten Seekrankheit, Stürme und drangvolle Enge ertragen, um dann zu erfahren, dass alles umsonst gewesen sein sollte? All ihre Träume, ihre Hoffnungen waren in diesen wenigen Sekunden begraben. Man wollte sie hier nicht.
    Riekes meerblaue Augen füllten sich mit Tränen. »Ist es, weil wir die Apfelbäumchen kaputt gemacht haben?«
    Lina schüttelte den Kopf. »Nein. Nein, deswegen nicht.«
    Das Stimmengewirr wurde immer lauter, die Beschimpfungen wüster.
    »Meine Damen, meine Herren, bitte!« Carl

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