Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
Kelling trat einen Schritt vor, wich dann aber wieder zurück. »Sie sehen uns so hilflos wie Sie selbst. Aber ich bin mir sicher, Mr Seip als Vertreter der Compagnie wird alles in seiner Macht Stehende tun, um uns die Lage zu erleichtern. Er weiß bestimmt einen Rat.«
Seip wuchtete seinen massigen Körper hoch. »Nun, Mr Kelling, ich fürchte, da täuschen Sie sich. Die Compagnie ist nicht länger für Sie zuständig.«
Kelling fasste ihn am Arm. »Sir, diese Menschen haben ihre Heimat hinter sich gelassen, um hier ganz neu anzufangen. Sie dürfen doch wohl erwarten, dass man sich um sie kümmert!«
Seip machte seinen Arm frei, sein Gesicht war rot angelaufen. »Kelling, wie oft soll ich es Ihnen noch erklären? Ich bin nicht mehr für diese Menschen zuständig. Und ich sehe keinen Anlass, mich noch länger mit Ihnen abzugeben. Und nun entschuldigen Sie mich, ich habe zu tun.« Er wandte sich zum Ausgang.
Lina konnte sich nicht mehr bremsen. Sie sprang auf. »Sir! Mr Seip!«
Er blieb tatsächlich stehen. »Was ist denn noch?«
»Wo sollen wir denn jetzt hin?«
Es war mucksmäuschenstill geworden. Seip drehte sich um und sah sie an, dann hob er die Schultern. »Was weiß ich? Es steht Ihnen natürlich frei, wieder nach Deutschland zu reisen. Oder machen Sie es wie einige der anderen deutschen Auswanderer, die vor gut einem Jahr hier ankamen. Ihre Siedlung in den Bergen wurde überschwemmt, und jetzt wollen sie ihr Glück in Australien versuchen.«
Erneut fingen alle an, durcheinanderzureden.
Seip nutzte die Gelegenheit. »Wie ich schon sagte: Ich kann nichts mehr für Sie tun. Und nun entschuldigen Sie mich!« Erstaunlich schnell für einen so dicken Mann hatte er sich aus der Tür geschoben und war verschwunden.
Lina sah ihm fassungslos hinterher. »Australien?«, wiederholte sie tonlos. »Was sollen wir denn in Australien?«
Es gab nichts zu beschönigen: Die Neuseeland-Compagnie war pleite. Auf diesen einfachen Nenner brachte Fedor Kelling es, als er den verstörten Auswanderern am nächsten Tag die Einzelheiten erklärte. In Neuseeland gab es zu viele Arbeitswillige und zu wenige Menschen, die sie beschäftigen konnten. Die Compagnie hatte diese Schieflage eine Zeit lang auffangen können, aber inzwischen war kein Geld mehr übrig. Dazu kam noch, dass die Compagnie viel Land gekauft hatte, das nun niemand abkaufte.
Immerhin versuchten die Kellings zu retten, was zu retten war: Sie hatten in Waimea East, wenige Kilometer von Nelson entfernt, ein großes Stück Land erworben und erklärten sich nun bereit, so viele der Skjold -Passagiere wie möglich als Landarbeiter oder Hausangestellte zu beschäftigen. Schon bald würden sich über siebzig Personen, zumeist Familien, zusammen mit den Kellings dorthin aufmachen. Die Ausgewählten waren tief gerührt über dieses unerwartete Zeichen von Menschlichkeit und hörten nicht auf, die Brüder in den höchsten Tönen zu loben.
Leider konnten die Kellings nicht alle Mitreisenden anstellen. Einige hatten sich ohnehin schon entschlossen, zusammen mit anderen deutschen Siedlern nach Adelaide im südlichen Australien zu reisen. In einigen Wochen sollte ein Schiff dorthin ablegen. Bis dahin würde man in den beengten Unterkünften bleiben. Ein weiterer Teil der Skjold -Passagiere wollte sich auf eigene Faust in der Umgebung niederlassen. Und dann gab es noch eine letzte, kleine Gruppe, für die sich nichts fand. Zu dieser gehörten Lina und Rieke.
Und da sie hierbleiben wollten, brauchten sie dringend eine Arbeit.
»Herein«, kam es mürrisch aus dem Büro der Neuseeland-Compagnie.
Lina öffnete und trat ein. Mr Seip hob den Kopf und sah sie aus ausdruckslosen Kalbsaugen an. Der dicke Mann, der den Platz hinter dem einfachen Schreibtisch fast völlig ausfüllte, war ihr zutiefst zuwider, aber er war nun einmal der vor Ort zuständige Agent.
»Karolina Salzmann. Von der Skjold «, sagte sie. Rieke war in den Unterkünften geblieben.
Seip winkte ungeduldig mit der Hand. »Ich bin nicht mehr zuständig, das habe ich doch schon erklärt.«
»Mr Seip.« Sie holte tief Luft. »Mr Seip, ich will hierbleiben. Ich kann arbeiten.«
»Schön für dich. Und was habe ich damit zu tun?«
»Ich dachte … vielleicht kennen Sie jemanden, der mich einstellen könnte?«
Seip senkte den Kopf wieder über seine Papiere. »Nein.«
»Mr Seip, bitte.«
»Du bist ja ziemlich hartnäckig.« Erneut hob er den Kopf, und zum ersten Mal sah er sie genauer an. Lina wusste nicht viel
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