Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
einen Hügel hinauf.
Das Heim der Familie Treban lag am Rand des Waldes, ein einfaches Haus aus Holzbohlen mit einem Dach aus Schilf, aus dessen Schornstein kräuselnd Rauch aufstieg. Über den Hof gruppierten sich ein paar grob zusammengebaute kleine Gebäude, vermutlich Stall und Schuppen. Weiter hinten sah sie einen Kirschbaum, an dem bereits die ersten Knospen zu sehen waren. Vor dem Blockhaus türmte sich ein Stapel Brennholz, die Axt steckte in einem abgesägten Baumstumpf. Zwei magere Hühner liefen in einem abgezäunten Geviert herum; als der Karren auf den Hof fuhr, fingen sie lauthals an zu gackern. Der Esel, der erleichtert schien, wieder seinen heimischen Hof erreicht zu haben, stieß ein lautes I-ah aus – ein Laut, der klang, als könnte er sich nicht zwischen Seufzen und Schluchzen entscheiden. Ja, fast genauso fühlte auch Lina sich.
Sobald Lina und Rieke vom Karren gesprungen waren, griff sich Alexander ihr Gepäck und marschierte auf das Haus zu, ohne auf sie beide zu warten.
Lina hatte den ganzen restlichen Weg geschwiegen, und noch immer vermied sie, ihn anzusehen. Als Mr Treban gestern von seinen drei Kindern gesprochen hatte, hatte sie natürlich angenommen, es handele sich um drei kleine Kinder. Dass sein ältester Sohn schon fast erwachsen sein könnte, auf die Idee war sie natürlich nicht gekommen.
Das alles war ihr unglaublich peinlich. Gleichzeitig war sie wütend. Hätte Alexander sie nicht vorher aufklären können, bevor sie sich um Kopf und Kragen redete? Aber er musste sie ja nach Strich und Faden vorführen. Und das nur, weil sie ein paar Bäumchen umgetreten hatte.
Dabei hätte sie es wissen können. Hatte er nicht an jenem Tag in diesem Obstgarten gesagt, seinem Vater gehöre die Plantage?
Was er jetzt wohl über sie dachte? Erstmals wagte sie, den Kopf zu heben, starrte wütend auf seinen Rücken. Er musste sie für eine unglaubliche Idiotin halten. Wahrscheinlich war es besser, wenn sie sich in den nächsten Tagen so unauffällig wie möglich verhielt.
Und dabei hatte sie gerade angefangen, ihn nett zu finden.
Sie holte tief Luft, gab Rieke einen Wink und folgte ihm.
Das Essen an diesem Abend verlief genauso schweigend wie das am Mittag, und das, obwohl sie mit sechs Personen am Tisch versammelt waren. Aber Mr Treban wollte nicht, dass während des Essens geredet wurde. Er hatte nur den Tischsegen gesprochen und dann nichts mehr. Selbst die kleine Sophie in ihrem roh zusammengebauten Kinderstühlchen schien sich an diese Anordnung zu halten und blubberte nur genügsam vor sich hin.
Lina hatte das Kind bereits gefüttert und neu gewickelt. Sie hatte die Kleine sofort ins Herz geschlossen. Mit ihren gut anderthalb Jahren konnte Sophie schon recht gut laufen und versuchte sich bereits an den ersten Worten. Ihnen beiden gegenüber auf der Bank saß Julius, Sophies elfjähriger Bruder, mit gesenktem Kopf über seinem Teller und schaufelte das Essen in sich hinein. Rieke neben ihm hatte ebenfalls den Kopf gesenkt und löffelte erstaunlich sittsam. Die beiden anderen Mitglieder der Familie, Alexander und sein Vater, hatten ihren Platz an den beiden Kopfenden des Tisches.
Lina musste sich zwingen, etwas zu essen. Noch immer versperrte die Aufregung ihr die Kehle. Hoffentlich hatte sie alles richtig gemacht. Mr Treban hatte ihr wenig Zeit gelassen, sich einzugewöhnen. Kaum war sie angekommen, hatte sie sich auch schon um die kleine Sophie kümmern und danach ein zerrissenes Hemd von Mr Treban stopfen müssen. Und ein Mittagessen für sechs Leute kochen. Es war so viel geworden, dass sie auch am Abend noch einmal davon auftischen konnte. Wenigstens schien der kräftige Eintopf aus Aalstücken, Kartoffeln, Karotten und Zwiebeln zu schmecken, denn alle bedienten sich ein zweites Mal aus der großen Terrine, die in der Mitte des Tisches stand.
»Und ihr seid wirklich von der Ostseeküste?«, brach es irgendwann aus Julius heraus. »Wie ist es da? Habt ihr auch so ein schönes Meer wie hier?«
»Julius!« Treban hatte den Löffel sinken lassen. »Bei Tisch wird nicht gesprochen!«
»Entschuldigung.« Julius senkte gehorsam den Kopf und aß weiter. Erst nach dem Nachtisch – Pfannkuchen mit gebratenen Äpfeln – hörte sie wieder etwas von ihm. Er wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab und rieb sich den Bauch.
»Wenn du immer so gut kochst«, sagte er großzügig zu Lina, »dann gebe ich dir gern mein Bett.«
Lina lächelte ihm zu. »Das ist sehr lieb von dir.«
An die
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