Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
auch eine kleine deutsche Schule ins Leben gerufen.
Rieke hatte erst gemault, aber inzwischen ging sie gern zusammen mit dem fast gleichaltrigen Julius dorthin. Dass die beiden Kinder immer unzertrennlicher wurden, sah Lina weniger gern. Schließlich war ihre Schwester zum Arbeiten hier.
Riekes Aufgabe war es unter anderem, den Hof zu fegen, die Hühner zu füttern, Eier zu holen und den Geflügelstall sauber zu halten. Eigentlich war das nicht zu viel verlangt, aber Lina musste trotzdem ständig ein Auge auf ihre kleine Schwester haben. Oft genug trödelte sie und versäumte ihre Pflichten.
Während Lina im Haus zu tun hatte, war Rudolf Treban meist unterwegs. Er kümmerte sich um seine Obstplantage und um fällige Reparaturen und belieferte Kunden mit Apfelwein. Wenn er zu Hause war, dann zog es ihn meist in seinen Garten, wo er neben Kartoffeln weitere Gemüsesorten anbaute. Vor allem die Kürbisse waren sein ganzer Stolz – niemand außer ihm durfte hier Hand anlegen.
Und dann war da noch Alexander. Er half seinem Vater bei einigen Arbeiten; Lina sah ihn manchmal, wenn er den Esel anschirrte oder Brennholz hackte. Normalerweise vermied sie es, mit ihm allein zu sein, denn noch immer schämte sie sich, dass sie ihn für einen Pferdeknecht gehalten hatte. Und außerdem gehörte es sich nicht, jetzt, da sie fast erwachsen war. Hatte der Vater ihr schließlich nicht immer wieder erzählt, wie sich ein anständiges junges Fräulein benahm? Es schickte sich schon gar nicht, da Alexander der Sohn ihres Dienstherrn war und sie nur eine Hausangestellte. Sie durfte nicht riskieren, ihre Stelle zu verlieren.
Die einzigen Male, dass sie mit ihm zu tun hatte, waren daher meist nur die Mahlzeiten – oder, etwas weniger direkt, wenn sie seine Sachen stopfte. Denn die Kleidung der Männer nutzte sich schnell ab; Lina kam oft kaum hinterher mit dem Flicken von Hosen und Hemden. Bislang hatten die Trebans es offenbar selbst versucht, und jetzt durfte Lina auch diese eher missglückten Versuche mit Nadel und Faden ausbessern. Dazu kamen noch Julius, Rieke und Sophie, die alle noch wuchsen. Hier musste ein Saum umgenäht, da ein Ärmel ausgelassen, hier ein Loch gestopft oder ein abgerissener Knopf wieder angenäht werden. Rieke selbst konnte zwar auch nähen, stellte sich dabei aber so ungeschickt an, dass Lina es lieber selbst übernahm. Und so saß sie dann meist abends über das Nähzeug gebeugt, solange das Licht der langen Abenddämmerung dafür ausreichte.
Aber da gab es noch immer diese ungeklärte Sache.
Es hatte ein paar Tage gedauert, bis ihr eingefallen war, was sie gestört hatte: zweieinhalb Jahre. Alexander hatte erzählt, er sei bereits seit zweieinhalb Jahren in Neuseeland. Aber Mr Treban behauptete, die Familie sei mit der St. Pauli hergekommen, im Juni 1843. Das lag nur etwas mehr als ein Jahr zurück.
Sie hätte sich gern näher über diese Ungereimtheit erkundigt, aber sie wusste nicht wie. Sie konnte ja kaum hingehen und Alexander der Lüge bezichtigen.
Bis sich die Sache eines Tages von selbst klärte.
»Ich habe heute einen Maori getroffen«, plapperte Julius eines Abends drauflos, als sie gerade das Essen beendet hatten. »Er hat diese komischen Kartoffeln verkauft. Und frisches Schweinefleisch. Und er hat gesagt, wenn ich morgen Kaffee oder Reis mitbringe, würde er mir dafür ein bisschen Fleisch geben.« Er sah seinen Vater erwartungsvoll an. »Darf ich?«
Auch Lina blickte auf. Es musste zwar niemand Hunger leiden, aber Schweinefleisch gab es nur eingesalzen oder getrocknet. Ein frisches Kotelett oder gar ein Braten wäre ein Festmahl. Sie hatte inzwischen schon öfter Maori in Nelson gesehen, stolz und unnahbar, mit bloßem Oberkörper oder in eine Decke gehüllt, die sie wie einen königlichen Umhang trugen. Aber bis auf die kurze Begrüßung am Tag ihrer Ankunft hatte sie noch nie mit einem von ihnen geredet.
Mr Treban legte langsam den Löffel neben seinen Teller. Lina kam es vor, als habe sich plötzlich eisiges Schweigen über die Runde gesenkt. »Du wirst dich von diesen Wilden fernhalten und kein Wort mehr mit ihnen wechseln, hast du verstanden! Nie wieder!«
»Aber, Vater …!«
»Nein, Julius! Oder hast du vergessen, dass sie deinen Onkel umgebracht haben?«
Lina sah, wie Alexander seinem Vater einen brennenden Blick zuwarf. In diesem Moment wirkte er viel älter als seine achtzehn Jahre. Dann schob er seinen Stuhl zurück, stand auf und verließ wortlos den Raum. Treban sagte
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