Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
misstrauisch, als handele es sich dabei um eine ansteckende Krankheit. »Was ist denn das?«
»Das ist jemand, der Blödsinn erzählt oder nicht ganz die Wahrheit sagt. Ein Tüddelbüddel eben.«
»Man lernt doch nie aus.« Alexander stand auf und streckte die Hand aus. Lina griff danach. Am liebsten hätte sie ihn umarmt, aber das ging natürlich nicht. Nicht hier. »Dann nimmt dein Tüddelbüddel dich jetzt mal mit nach Hause. Dieser Ort macht einen ja schwermütig.«
Endlich waren sie alle wieder zusammen – Rieke und Julius kehrten aus Waimea zurück, die kleine Sophie war wieder bei ihnen, und auch der Esel stand im Stall. Lina bedankte sich bei den hilfsbereiten Tucketts, die sich um Sophie und die Tiere gekümmert hatten, mit einem saftigen Apfelkuchen.
Alles war fast wieder so wie früher. Nach wie vor teilte sie sich die kleine Kammer mit ihrer Schwester, Julius schlief in der Stube und Alexander im Geräteschuppen. In den nächsten Tagen schwebte Lina vor Glück wie auf Wolken. Jetzt, so war sie überzeugt, war alles zu schaffen, was noch auf sie zukommen mochte. Selbst die Schulden, die sie noch immer bei Seip hatten, hatten ihren Schrecken verloren, seit sie bei den constables gewesen waren und Seip angezeigt hatten – was Lina schon vor einer Woche hatte tun wollen. Doch jetzt hatte sich der Agent der Neuseeland-Compagnie nicht nur eine Anzeige wegen Nötigung eingehandelt, sondern auch noch eine wegen Verleumdung und übler Nachrede. Es war nicht die erste Anzeige gegen Seip, wie sie von einem schwatzhaften constable erfuhren. Einige der deutschen Siedler hatten sich über sein willkürliches Vorgehen bei der Landvergabe beschwert und forderten ihr Geld zurück. In den nächsten Wochen würde das Gericht einiges zu tun haben. Und solange die Anzeige gegen Seip lief, würde er ihnen nicht schaden können.
Neben Haushalt und Gemüsegarten wartete auch viel Arbeit in der Obstplantage auf sie. Gemeinsam mit den Kindern sammelten sie zuerst körbeweise die überreifen Himbeeren, von denen Lina und Rieke einen Teil zu Marmelade verarbeiteten. Aus dem Rest pressten sie Saft. Tagelang roch das ganze Haus nach den süßen Früchten und der Marmelade, die sie mit viel Zucker einkochten. Sophie hatte ständig klebrige rote Finger und beschmierte sich und ihre Kleidung mit der süßen Masse.
Wenige Tage später zogen sie dann erneut mit Eimern und Körben bewaffnet auf die Plantage, wo sich die niedrigen Apfelbäume bereits unter ihrer Last bogen. Lina hatte ganz vergessen, wie viele Bäume es doch waren; es dauerte, bis sie all die rotbackigen Äpfel von den Bäumen geschüttelt und die empfindlicheren Birnen mit langen Stangen gepflückt hatten. Alle waren ausgelassen bei der Sache und genossen den sonnigen Tag.
An einem sonnigen Herbstmorgen machten sie sich daran, Apfelwein herzustellen. Alexander hatte dafür alle Gerätschaften seines Vaters aus dem Schuppen geholt, der ihnen als Kelterhütte diente, und nun wurden die Äpfel in einem großen Bottich im Hof gewaschen und die fauligen aussortiert. Die sauberen Früchte zerteilte Lina mit zwei Schnitten in vier Teile. Alle Teile wanderten dann in die Obstmühle, einen großen hölzernen Trichter mit Kurbel, und wurden zu Mus zermahlen – eine mühselige Arbeit, bei der sich alle abwechselten.
Dumpfes Knattern und Dröhnen hallte durch die Luft – vom Fort schollen Schüsse herüber. Julius ließ die Kurbel los und blickte sehnsüchtig auf.
»Durftest du auch schießen?«, fragte er seinen Bruder, der gerade eine neue Ladung von Apfelschnitzen in den Trichter kippte.
Alexander nickte. »Komm schon, Julius, nicht einschlafen.«
Julius drehte erneut an der Kurbel. »Mit richtigen Gewehren?«
»Mit alten Steinschlossgewehren, deren Rückstoß einen fast umwirft. Wenn sie denn überhaupt funktionieren.« Alexander wandte sich an Lina. »Ursprünglich waren die zum Handeln bestimmt. Mit den Maori. Jetzt haben wir die Dinger, um damit auf sie zu schießen.«
» Ich will auch mal drehen«, maulte Rieke, die mit Sophie die Äpfel im Wasserbottich untertauchte.
»Du darfst gleich die Apfelpresse bedienen«, versprach Lina.
»Und durftest du auch eine Uniform tragen?« Julius gingen die Fragen nicht aus.
»Was heißt hier dürfen. Ich musste.«
Wie Alexander wohl in Uniform aussah? Er hatte seine mitnehmen dürfen, damit Lina sie reinigte. Die Uniform bestand aus einem blauen Hemd, das wie ein Seemannshemd geschnitten war, einer Kappe und dunklen
Weitere Kostenlose Bücher