Die Rueckkehr
sind beide nicht auf dem Schulgelände. Kein Mensch weiß, wo sie sind.«
Eufaula hatte schon bemerkt, dass Rainey nicht immer ganz geradeaus war und einen schlechten Einfluss auf Axel hatte, und dass die kleine Hannah ihn überhaupt nicht mochte, oh nein, aber sie fand, dass es ihr nicht zustand, etwas zu sagen. Persönlich fühlte sie sich von Rainey verunsichert. Er war schlau und verschlagen und wurde bösartig, wenn man ihn in die Ecke drängte.
Ein bisschen wie ein Opossum.
Kate bedankte sich bei Eufaula und beendete den Anruf. Sie warf Lemon einen Blick zu.
»Nicht zu Hause?«, sagte er. Sie schüttelte den Kopf und es wurde ihr eng um die Brust. Sie standen mit dem Wagen vor Sylvias Haus, Cemetery Hill 47 – Raineys ehemaligem Zuhause –, einer Villa aus Stein in einem kleinen Wäldchen, das sich über einen weiten Hügel bis zu einem Nebenlauf des Tulip River hinunterzog.
In diesem Teil von Garrison Hills wohnte der alte Geldadel, und es sah auch danach aus. Die Teagues waren wohlhabend gewesen, nur dass diese Familie zwar Wohlstand angezogen hatte, aber wenig Zuneigung. Sylvias Gatte, Miles, war ein Mann gewesen, mit dem Kate nie warm geworden war, und sein Selbstmord ein paar Tage, nachdem man Rainey lebendig aufgefunden hatte, war Kate wie ein Akt totaler narzisstischer Selbstsucht erschienen.
»Sollen wir reingehen und nachschauen?«, sagte Lemon.
»Ja. Und wenn sie dort sind …«
»Locker bleiben, Kate. Rainey ist kein schlechter Junge und Axel ist für sein Alter ziemlich vernünftig.«
Kate sagte nichts und Lemon folgte ihr die Steinstufen zur großen Eichentür hinaus. In das Schnitzwerk an der Tür war hinter einer Abdeckung ein Tastenfeld eingelassen. Kate gab den Code ein und das Schloss sprang auf. Sie traten durch die Tür in die große Eingangshalle, einen kathedralenartigen Raum, der sich durch drei Stockwerke bis an das Deckengewölbe zog. Die Inneneinrichtung war von glänzendem Messing, poliertem Eichenholz und alten Teppichen in Blau, Ocker und Bernsteingelb bestimmt. In der Halle brannte Licht, aber im Rest des riesigen alten Hauses war es dunkel und still. Es roch nach Bohnerwachs und abgestandener Luft. Kate trat an den Fuß der Treppe und rief etwas nach oben.
»Axel? Rainey? Jungs, seid ihr hier?«
Nichts. Nur ein Echo und das Knacken des Hauses, das sich in der Abendluft abkühlte.
Sie gingen die Zimmer im Erdgeschoss ab – das große förmliche Esszimmer und auf der anderen Seite der Halle ein förmliches Wohnzimmer in hellem Beige und Holztönen mit ein paar bunten Farbspritzern hier und dort. Über dem steinernen Sims des großen Kamins hing ein Ölgemälde von Miles und Sylvia in jungen Jahren. Das Haus strahlte Leere und Einsamkeit aus.
Hinter dem Wohnzimmer befand sich eine holzgetäfelte Bibliothek mit gemütlichen durchgesessenen Möbeln, mit verschlissenen Bezügen aus Plaid und braunem Leder. Die Bücherschränke mit ihren Glastüren waren voll, vor den Büchern standen gerahmte Schnappschüsse.
Sylvias Schreibtisch – eine antike Kommode mit glänzender Schellackpolitur – war in eine Wand eingelassen, gegenüber dem großen Flachbildfernseher, der auf einer Anrichte aus Palisanderholz stand.
Lemon legte die Hand auf Sylvias Computer.
»Noch warm«, sagte er.
»Sieh nach, wann er zum letzten Mal in Betrieb war«, sagte Kate. »Ich glaube nicht, dass sie hier sind, aber ich werde mal alles absuchen.«
Kate betrat den Küchenbereich, und durch die Glaswand fiel ihr Blick auf den kleinen Pavillon, in dem sie die sterblichen Überreste von Miles gefunden hatten. Lemon hatte den Garten vor kurzem gepflegt und das Gras zog sich weich bis zu den Weiden und Eichen hin, die weiter unten den Rasen begrenzten. Nirgends Fußabdrücke. Keine Spur von Axel. Keine Spur von Rainey.
Auch in den oberen Stockwerken war niemand zu finden, auch wenn es so aussah, als hätte im Elternschlafzimmer jemand auf dem Bett gelegen. In der flauschigen, seidigen Bettdecke gab es eine Delle ungefähr von der Größe eines kleineren Kindes.
Kate stellte sich vor, wie Rainey hier lag, an die eichengetäfelte Decke hinaufblickte und dachte … ja, was dachte er?
Kate hatte keine Ahnung.
Nach diesen ganzen Wochen und allem, was sie heute über ihn herausgefunden hatte, war Rainey ihr mehr denn je ein Geheimnis. Und was für eine Wirkung hatte er auf Axel? Oder auch auf Hannah? Axel war nie verschlagen gewesen, jedenfalls nicht in solchem Ausmaß. Bei Rainey war das etwas
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