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Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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drehte sich der Novize zu Niam um und hielt ein silbernes Medaillon hoch. Muschelförmig war es, und als Tschur es aufklappte, wusste Lis, dass Niam dem Porträt der Desetnica entgegensah.
    Lis schlug die Hände vor den Mund und rutschte an der Mauer entlang zu Boden. Kampflärm dröhnte vom Priesterturm her.
    Jetzt erst drehte Levin sich nach Tschur um. Mit einem Blick begriff er die Situation. In seiner Miene zeichnete sich dieselbe törichte Verblüffung ab, wie Lis sie bei den anderen Novizen sah. Rasch rückten sie von ihm ab. Blass und einsam stand er da in dem Bewusstsein, dass Poskurs Faust ihn für diesen Verrat zermalmen würde.
    Niam starrte zuerst auf das Medaillon und dann zu Levin. Sein Gesicht veränderte sich auf erschreckende Weise. Für einen Moment sah Lis Unglauben darin, dann die Erkenntnis, schließlich Enttäuschung und grausame Wut, die an die Oberfläche brodelte wie Lava vor einem Vulkanausbruch. Lis spürte, wie ihre Hände zu zittern begannen.
    »Das Feuer Poskurs wird dich verbrennen«, hallten Zlatas Worte in ihrem Kopf. Panik durchfloss sie wie ein heißer Strom, sie bekam keine Luft mehr. Alles ist aus, dachte sie, wir werden beide sterben.
    Levin war stehen geblieben, in seinem Gesicht las Lis das Entsetzen, das sie selbst spürte. Tschur warf ihm das Medaillon ins Gesicht und grinste triumphierend. »Verrat, Niam!«, schrie Levin. »Ich gehöre nicht zu ihnen! Es ist nicht meine Kette – er hat sie mir heimlich zugesteckt.«
    Das Flehen in seiner Stimme war Lis neu. Es tat ihr weh, ihren Bruder so betteln zu sehen. Das Medaillon hatte ihn an der Lippe verletzt, ein Blutfaden lief über sein Kinn. Er sah erbärmlich aus.
    Zum ersten Mal begriff Lis, wie sehr Niam für ihn ein Vater geworden war. So sehr, dass er seine richtige Familie vergaß. Doch dieser Vater war ein strafender, unbarmherziger Rächer.
    Niams Gesicht wurde noch düsterer, alle Türen, die er seinem jungen Schüler geöffnet hatte, fielen mit einem Schlag zu und ließen Levin schutzlos zurück.
    Der alte Hohepriester gab den Priestern einen Wink. Sie überwältigten Levin mühelos. Niam holte aus und schlug ihm mit voller Kraft ins Gesicht, in dem Augenblick, als das heilige Pferd scheute und mit dem linken Bein zuerst über die Lanzen sprang.
    Lis erinnerte sich nicht mehr, wie sie aus dem Priesterhof gelangt war. Plötzlich stand Wit vor ihr und zerrte sie ohne weitere Erklärungen durch die Menge in Richtung Ausgang. »Lauf!«, sagte er. »Lauf zu Mokosch!«
    Sie sah den Blick von Tschur, der sie entdeckte und auf sie deutete, und dann bestand sie nur noch aus Beinen und keuchendem Atem, rempelte sich hinaus, wich Kriegern aus, sah Blut und am Boden liegende Menschen, die ihr bekannt vorkamen.
    Von weitem erkannte sie Zoran. Er stand am Priesterturm mit dem Rücken zur Wand. Vier Krieger hielten ihm ihre Lanzen an die Brust. Als er mit unbewegtem Gesicht sein Schwert fallen ließ und die Augen schloss, stachen sie zu.
     
    Wirbelnde Sonnen kreisten vor ihren Augen. Ihr Kopf schmerzte so sehr, dass selbst die Bewegung ihrer Augen unter den geschlossenen Lidern brannte wie ein Feuerstrahl. Mühsam blinzelte sie und erkannte, dass die Feuersonnen die flackernden Flammen der Opferkerzen waren, die auf einem hölzernen Schrein standen. Eine Göttin mit Tanghaar und riesigen Brüsten grinste ihr entgegen.
    »Lisanja!«, flüsterte ihr eine vertraute Stimme ins Ohr.
    Lis wandte den Kopf und sah ein schmales, ängstliches Gesicht, das in der Dunkelheit zu schweben schien. Schwarzes Haar hing der Frau wirr ins Gesicht, auf ihrer Wange hatte sie eine Schürfwunde. »Kannst du mich hören? Weißt du, wer ich bin?«
    »Mokosch!«, flüsterte Lis.
    Nach und nach wurde ihr bewusst, dass sie in der Kammer des Gewandmeisters Firenc lag, wo sie sich vor wenigen Tagen umgekleidet hatte.
    »Siehst du, ich habe sie nicht umgebracht.« Das war die raue, etwas träge Stimme von Mokoschs Schwester Marzana. Sie stand neben der Tür, in der Hand hielt sie das Schwert, das sie für die Zeremonie nicht abgelegt hatte. Als Lis den scharfkantigen, gebogenen Schwertgriff ansah, fing ihr Kopf unwillkürlich wieder an zu schmerzen. Sie hob den Arm und befühlte einen geschwollenen Riss an der Kopfhaut. Blut sickerte daraus hervor und verklebte ihr Haar.
    »Ich musste dich niederschlagen«, sagte Marzana ungerührt. »Du hast nach mir getreten. Außerdem haben die Priester schon nach dir gesucht. Einen Wimpernschlag später und Tschur hätte

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