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Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Menge der Krieger teilte sich wie eine Woge, als Baschir mit festen, weit ausholenden Schritten zum Hügel ging. Eine Gruppe von Pferden zeichnete sich dort gegen den Nachthimmel ab. Schwacher Fackelschein ließ ihr Fell schattenfleckig leuchten. Glöckchen klimperten bei jeder Bewegung und die Fransen langer Satteldecken wehten im Wind.
    »Wenn du zu den Kurieren gehörst, müsstest du eine Kette mit einem Anhänger tragen. Hast du dein Erkennungszeichen im Meer verloren?«, fragte Baschir.
    »Wir mussten alle Anhänger vernichten. Die Priester haben den geheimen Zirkel entdeckt.«
    »Du hast Glück gehabt. Die Truppen an der Seitenbucht bestehen zum größten Teil aus Söldnern. Sie sind grob und kampflustig und haben nichts zu verlieren. Wir haben die ganze Zeit an den Wegen der Kuriere Ausschau gehalten. Dort, bei der Südküste.«
    »Ich hatte keine andere Möglichkeit, als zu schwimmen. Die Kuriere können Antjana nicht mehr verlassen. Die Priester haben die Stadt abgeriegelt. Alle Wege sind versperrt und die Boote zerstört. Morgen sollen die gefangenen Kuriere hingerichtet werden. Und…«, sie schluckte, weil ihre Stimme wieder zu zittern begann, »… mein Bruder auch.«
    Baschir nickte ohne eine Gefühlsregung. Ein weißes Pferd mit schmaler Nase und glänzenden Augen wandte ihr den Kopf zu. Ein filigran gearbeitetes silbernes Kettentuch schützte seine breite Stirn. Fransen aus Seidenfäden baumelten daran und verliehen ihm das Aussehen eines Zirkuspferdes. Als Baschir nach den baumelnden Zügeln griff, legte es die Ohren an und schnappte nach ihm. Lis zuckte zurück, doch den Sarazenenkrieger beeindruckte das Gebaren des Pferdes nicht im Mindesten. »Steig auf«, befahl er und hielt ihr eine riesige, narbige Hand als Steigbügel hin.
    Mit Mühe zog sich Lis hoch und ließ sich in den hohen Sattel gleiten, der sie wie eine Wiege auffing. Baschir schwang sich auf das andere Reittier und nahm die Zügel von Lis’ Pferd. Er rief etwas in seiner eigenen gutturalen Sprache, dann drückte er seinem Reittier die Fersen in den Bauch.
    Lis war froh um die wenigen Reitstunden, die sie als Zwölfjährige auf einem Ferien-Reiterhof absolviert hatte. Obwohl sie Pferde mochte, war sie im Umgang mit ihnen nie besonders begabt gewesen. Dennoch fand sie sich schnell wieder in den Rhythmus der Galoppbewegungen, als die Pferde den Hügel hinaufjagten. Über der Kuppe tat sich eine Ebene auf, die von Zelten übersät war. Überall brannten kleine Feuer. Krieger lagerten auf der Ebene, aßen, unterhielten sich oder säuberten ihre Waffen. Als sie Baschir kommen sahen, hielten sie in ihrer Arbeit inne und grüßten ihn mit einer ehrerbietigen Geste. Hinter einem riesigen Rundzelt standen Pferde in einem aus Tuchbahnen improvisierten Pferch und dösten mit aufgestützten Hinterhufen vor sich hin.
    Und weiter ging es, durch das Lager hindurch und einen schmalen Pfad entlang wieder bergauf. Die Pferde schnaubten, verfielen in Trab und kletterten schließlich so steil bergan, dass Lis sich im Sattel aufstellte und nach vorne lehnte, um ihr Reittier zu entlasten. So erreichten sie eine weitere Hügelkuppe, von wo aus sich ein überwältigender Blick auf den glänzenden Spiegel des Meeres bot.
    Ganz nah am Felsrand wartete dem Meer zugewandt ein schlanker Krieger. Wie eine schattige Geistergestalt stand er mit dem Rücken zu Lis und drehte sich auch dann nicht um, als er die Pferde schon längst bemerkt haben musste.
    Baschir zügelte sein Pferd und sprang mit Schwung ab. Vorsichtig, um sich nicht an den in der Dunkelheit unsichtbaren Steinen zu verletzen, ließ sich Lis aus dem Sattel gleiten. Die Gestalt starrte immer noch auf das Meer, ihre Ellenbogen waren angewinkelt, als würde sie mit beiden Händen etwas halten. Am metallischen Schimmer von Eisenringen, die sich um eine Art ledernen Stock spannten, erkannte Lis, dass es wohl ein Fernrohr war. Der Himmel hatte aufgeklart, ein perlmuttweißer Mitternachtsmond stand am Himmel. Ganz weit draußen lag, weiß wie die Alpenkette, die von Piran aus sichtbar war, der Burgwall mit der Stadtmauer von Antjana. Im Gegensatz zu den anderen Kriegern trug dieser hier kein Tuch über dem Kopf. Lis erkannte kurz geschnittenes weißblondes Haar.
    »Ya-saidai!«, sagte Baschir.
    Die Gestalt drehte sich um. Im ersten Moment hatte Lis das Gefühl, einer jüngeren Mokosch gegenüberzustehen. Doch die Frau, die jetzt vor ihr stand, hatte Augen, die viel heller waren als die der Fürstentochter.

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